16 Jahre nach dessen Tod ringt der 25jährige Francesco Guicciardini um ein abschließendes Urteil über Lorenzo de‘ Medici. Letztlich ohne Erfolg: eine Synthese kann es nicht geben. Lorenzo, so der junge Patrizier aus dem innersten Kreis der Macht unter den Medici, war ein Tyrann – er bestimmte als Patron der alles beherrschenden Klientel die Auswahl der Amtsinhaber und die florentinische Außenpolitik, ohne seine Gunst gab es keinen geschäftlichen Erfolg, ohne sein Plazet durften keine Paläste gebaut und keine vornehmen Ehen geschlossen werden. Das gesamte politische und kulturelle Leben von Florenz: eine einzige Propagandaschau in Sachen Lorenzo. Und dennoch floriert Florenz wie nie zuvor: Lorenzo, der beste der Tyrannen. Ein wenig von dieser Doppelbödigkeit wünscht man der Biographie von Ingeborg Walter, die Glanz und Grenzen des Genres Biographie, verstanden als Lebensabriß aus der Perspektive des Helden, exemplarisch aufzeigt. So begleitet der Leser den prächtigen Protagonisten, von der Autorin sachkundig geführt, durch alle Lebenslagen: Liebesspiel, politische Krisen, Botschaftsreisen zu fremden Herrschern, Verschwörungen, Familienidylle und, natürlich, Feste über Feste. Dabei werden die inneren politischen Zustände von Florenz durchaus korrekt umrissen – und bleiben doch, was den ungeklärten, zutiefst hybriden Charakter der Machtverhältnisse betrifft, seltsam unverbindlich. Doch auch wenn diese Dimension der Dämonie der Macht und ihrer Ausübung weitgehend ausgeblendet bleibt, ist das Buch ein Lesevergnügen von hohen Gnaden: ein opulenter Spaziergang durch die Lebenswelt eines Mächtigen, der – seltener Glücksfall – zugleich Kunstkenner und begabter Literat in einer kulturellen Blütezeit war.
Rezension: Reinhardt, Volker