Wer maritime Geschichte schreibt, muß einen weiten Blick haben und das Ziel kühn ansteuern, ohne Scheu vor eingewurzelten Engführungen. Der Althistoriker Raimund Schulz hat über den Fachhorizont hinausgeblickt und sich von Forschungen zum Aufbruch über die Ozeane zu Beginn der Neuzeit inspirieren lassen. Schien die Seefahrtsgeschichte der Antike schon durch den zugrunde liegenden Raum, das Mittelmeer, lange Zeit ein buchstäblich begrenztes Thema zu sein, öffnet Schulz mit seinem zupackenden Buch neue Perspektiven.
Die Routen, die er dafür ausmißt, sind prägnant: Herrschaft über das Meer, Handel zur See, die anthropologische Dimension von Seefahrt, aufzufinden etwa im Typus des zur See mobilen, unstet wandernden, dieses und jenes versuchenden Menschen, und schließlich der Kulturtransfer. Denn erst die Verbindungen zur See und die mit der maritimen Lebensform verbundene Mentalität des Wagnisses, des Gewinnstrebens und des Lernens ermöglichten die „ununterbrochene Vernetzung mediterraner Kulturen über alle staatlichen, städtischen und ethnischen Grenzen hinweg“.
Viele Einzelteile, die Schulz in seine Darstellung integriert, sind für sich genommen nicht neu. Doch indem sie in ein Gesamtbild eingefügt werden, ergeben sich ganz neue Einsichten. Die wenigen Seiten, auf denen Schulz die frühgriechische Philosophie mit Seefahrt, Kolonisation und politischer Ordnung in Beziehung setzt, gehören zum Originell-sten, was es zu diesem sperrigen Gegenstand seit langem zu lesen gab. Stets im Blick bleibt dabei die mentalitätsgeschichtliche Dimension.
Vielfach zwingt das Buch zum Abschied von festgefügten Ansichten. Mag man über die eher modernistische Auffassung von antiker Wirtschaft oder über die These von der Schöpfung der athenischen Demokratie aus der Dynamik aristokratischer (Außen-)Politik noch mit dem Autor streiten wollen, so werden andere Thesen völlig überzeugend begründet. Mit Recht verweist Schulz die gängige Ansicht, die Römer seien bis zum Krieg um Sizilien Landratten gewesen, die erst durch die Untersuchung eines gestrandeten karthagischen Schiffes die Technologie erwarben, um binnen kürzester Zeit der Seemacht Karthago auf deren ureigenem Feld Paroli bieten zu können, ins Reich der Legende. Die auf Expansion konditionierte Aristokratie Roms hatte schon lange vorher das Meer ins Visier genommen.
Die Herrschaft über das Meer war dann bis in die Kaiserzeit (die leider etwas knapp wegkommt) hinein die unabdingbare Voraussetzung für den Gewinn und die Sicherung des Imperium Romanum. Piraten wurden von Pompeius in eine Seeklientel verwandelt, Caesar landete in Britannien. Das handliche, gut geschriebene Buch bietet Anregungen, Argumente und Anschauung in Fülle. Es verdient weiteste Verbreitung.
Rezension: Walter, Uwe