Tote Briefkästen in Wien, geheime Treffen in Londoner Parks, abgehörte Telefonate, geöffnete Briefe – was klingt wie aus einem Spionageroman, bestimmte tatsächlich zeitweise das Leben der Edith Tudor-Hart, geborene Suschitzky. Die österreichisch-britische Fotografin war als Mitglied der kommunistischen Partei seit den 1930er Jahren in Geheimdienstaktionen für die Sowjetunion verwickelt. Bei der Rekrutierung der sogenannten Cambridge Five, einem der bedeutendsten russischen Spionageringe während des Kalten Kriegs, spielte Edith Tudor-Hart etwa eine maßgebliche Rolle.
Geboren am 28. August 1908 in Wien, wuchs die Tochter eines jüdisch-sozialistischen Buch-händlers im linken Milieu der von den Unsicherheiten der Zwischenkriegszeit geprägten österreichischen Hauptstadt auf. Erste Kontakte zur kommunistischen Bewegung als Jugendliche intensivierten sich durch ihre Beziehung zu dem sowjetischen Agenten Arnold Deutsch. Ihrem Ehemann Alexander Tudor-Hart, einem britischen Arzt und ebenfalls Mitglied der kommunistischen Partei, folgte Edith Tudor-Hart 1933 nach London, nachdem sie zuvor in Wien wegen ihrer Parteiaktivitäten zeitweise in Haft war. In Großbritannien setzte sie ihr Engagement für die Sowjetunion fort, gleichzeitig machte sich Edith Tudor-Hart mit eindringlichen Sozialreportagen als Fotografin einen Namen. Ihr Leben war von mehreren Brüchen geprägt: Eine gescheiterte Ehe, mehrere unglückliche Beziehungen sowie die oft vergeblichen Bemühungen, für ihren an Schizophrenie erkrankten Sohn angemessen zu sorgen, laugten die überzeugte Kommunistin aus. Hinzu kamen ein Berufsverbot als Fotografin sowie zermürbende Verhöre und Hausdurchsuchungen durch den britischen Geheimdienst. 1973 starb Edith Tudor-Hart schließlich verarmt an Krebs.
Der Autor Peter Stephan Jungk hat sich ein knappes halbes Jahrhundert später auf die Suche nach den Lebensspuren dieser faszinierenden Frau gemacht, die auch seine Großtante war. Die dabei entstandene Biografie basiert vor allem auf der umfassenden Auswertung von Archivmaterialien und Gesprächen mit Zeitgenossen. Schilderungen über die Erlebnisse des Autors bei der Recherche unterbrechen dabei oft die eigentliche Handlung. Sie vermitteln einen spannenden Eindruck von der aufwendigen Spurensuche des Autors, seinen Motiven und Gefühlen. So begleitet der Leser Jungk etwa zu unterhaltsamen Gesprächen mit dem fast 100jährigen Bruder der Edith Tudor-Hart und teilt seine Frustration, wenn es ihm auch nach mehreren Versuchen nicht gelingt, in die sowjetischen Geheimarchive vorgelassen zu werden. Die biografischen Details selbst werden wenig nüchtern, sondern in eher romanar-tigen Szenen wiedergegeben. Gespräche und Gedanken der Protagonisten lockern die übersichtlichen Kapitel immer wieder auf. Zwar bleibt dadurch beim Leser am Ende eine gewisse Unklarheit zurück, was nun eigentlich Realität, was Fiktion ist. Dafür ist Jungk aber ein äußerst fesselndes Buch gelungen. Ein Who is Who der wichtigsten Personen sowie eine knap-pe Auswahlbibliographie runden das Werk ab und helfen bei der Orientierung. Einige Fotografien der Edith Tudor-Hart lassen zudem die Personen sowie die Atmosphäre der damaligen Zeit lebendig werden.
Rezension: Liza Soutschek