Michel Roquebert ist der Altmeister der Geschichtsschreibung des okzitanischen Katharertums. Mit seinem fünfbändigen Werk „L’épopée cathare“ (1970–1998) hat er nicht nur die umfangreichste Aufarbeitung der katharischen Geschichte in Südfrankreich geliefert, auch methodisch hat er durch akribische Quellenarbeit und abwägende Urteile Maßstäbe gesetzt. Statt der polemischen Perspektive der katholischen „Ketzergeschichte“ oder der Stilisierung des Katharismus zum Inbegriff kultureller und politischer Unabhängigkeit Okzitaniens von Frankreich zeichnet Roquebert ein äußerst differenziertes und facettenreiches Bild.
Mit der jetzt erschienenen „Geschichte der Katharer“ wird zum ersten Mal eines der Hauptwerke Roqueberts in deutscher Übersetzung vorgelegt, was sehr zu begrüßen ist. In drei großen Abschnitten fasst das Buch die Ereignisse vom unglaublichen Erfolg der katharischen Wanderprediger in Okzitanien (auch Albigenser genannt) während des 12. Jahrhunderts bis zu ihrer Auslöschung zu Beginn des 14. Jahrhunderts zusammen.
Der erste Abschnitt zur „Entstehung der dualistischen Häresie“ (Annahme von zwei höchsten Prinzipien) zieht kenntnisreich die Verbindungslinien zu den älteren dualistischen Religionen und zeichnet soziale Verbreitungsräume und innere Organisationsformen der Katharer sowie erste kirchliche Reaktionen nach. Eine zentrale Stellung kommt dabei dem Pontifikat Papst Innozenz‘ III. zu; in dessen Pontifikat kam es zu einer deutlichen Verschärfung der politischen Sanktionen gegen die okzitanischen Eliten. Als auch diese ergebnislos blieben, begann im Jahr 1209 der Albigenser-Kreuzzug.
Den militärischen und politischen Wechselfällen bis zum Frieden von Paris (1229) ist der zweite große Abschnitt des Buchs gewidmet. Die Hauptfiguren der Ereignisse werden detailliert und lebendig geschildert. Das politische Ende Okzitaniens durch den Pariser Friedensvertrag fiel zusammen mit dem Beginn einer neuen Form der Ketzerverfolgung: der päpstlichen Inquisition. In den Händen der Dominikaner geriet sie zur schärfsten Waffe gegen den Katharismus. Umfassende Zeugenvernehmungen und Indiziensuche, akribische Aktenführung und überregionale Fahndung waren die neuartigen Instrumente, gegen die sich die Katharer auf Dauer nicht behaupten konnten.
Allerdings, und dies ist einer der wenigen Kritikpunkte an diesem beeindruckenden Werk, müsste man wohl auch den zweiten großen Bettelorden, die Franziskaner, berücksichtigen. Zum Ende des Katharismus in Europa trug nämlich auch die langfristige Verbesserung der Seelsorge und der kirchlichen Glaubwürdigkeit bei, wie sie mit den Franziskanern verbunden wird. Übertrieben schließlich wirkt gelegentlich der Hang des Autors zu Aktualisierung und Modernismen, die leicht die Besonderheit des mittelalterlichen Konfliktes vergessen lassen. Diese Marginalien können den Wert des Buchs allerdings in keiner Weise schmälern.
Rezension: Prof. Dr. Jörg Oberste