Unvollendet, steckengeblieben, halbherzig, verraten – das sind die bekanntesten Merkmale, die Historiker der deutschen Revolution von 1918 /19 verliehen haben. Mancher hegt gar Zweifel, ob sie überhaupt eine Revolution war, nicht zuletzt, weil man bereits in den Anfängen die Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik zu erkennen glaubte.
Zwar fegte der Umbruch 1918/19 das Bismarck’sche Kaiserreich und die Monarchien in den Einzelstaaten hinweg und etablierte die politische Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Aber die Revolutionäre, allen voran Friedrich Ebert und die Sozialdemokratie, hätten machtvergessen eine große Chance verpasst, so lautet das Urteil. Sie hätten auf eine nachhaltige Demokratisierung von Staat und Gesellschaft verzichtet. Die bereits im November 1918 eingeleitete Zusammenarbeit mit den alten Eliten in Militär, Wirtschaft und Verwaltung sowie die starke Position des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung gelten als Grundbelastungen der ersten deutschen Demokratie, die überschattet wird von dem, was nach 1933 folgte. Vor diesem Hintergrund vermag der Befund des vom Rostocker Juniorprofessor Alexander Gallus herausgegebenen Bandes zu jener „wunderlichsten aller Revolutionen“ (Arthur Rosenberg) nicht zu überraschen: Im nationalen Gedächtnis- und Mythenhaushalt der Bundesrepublik spielt 1918 /19 kaum eine Rolle – nicht nur im Vergleich zu den Ereignissen von 1848 /49 ist sie eine vergessene Revolution. Seit dem Ende der DDR wurde sie immer seltener Gegenstand großer erinnerungspolitischer Festreden, ihre Errungenschaften eignen sich kaum mehr für einen Streit der Erben. Allenfalls für parteipolitisches Geplänkel reicht es.
Dies wird der Band gewiss nicht ändern, aber hoffent‧lich schon, dass 1918 /19 nicht einmal mehr für Kontroversen unter Historikern taugt. Er soll dazu beitragen, dass die Revolution wieder stärker in den Blick der zeitgeschichtlichen Forschung gerät, was mit den vielen anregenden Fragen seiner neun Beiträge auch gelingen kann. Hier finden sich lange vermisste geschlechter-, kultur- und emotionsge-schichtliche Überlegungen ebenso wie transnationale Perspektiven zu diesem Schlüsselereignis der jüngeren deutschen Geschichte.
Welchen Stellenwert hatten denn die Sehnsüchte und Projektionen der Menschen oder welchen die Frauen- und Hausfrauenräte, welche Rollen spielten internationale Akteure wie das Rote Kreuz oder der Vatikan im Übergang von Krieg zu Nachkrieg, oder wie wirkten sich Nahrungs- und Energiemangel auf die Menschen, ihren Alltag und die natürliche Umwelt aus?
Das kleine Büchlein kommt zur rechten Zeit, denn bis zum 100. Jubiläum ist noch Zeit, um solchen und anderen Fragen intensiv nachzuspüren und damit der Komplexität der Ereignisse von 1918/19 gerecht zu werden. Wer sich künftig jener nun hoffentlich nicht mehr ganz so vergessenen Revolution widmen will, der darf an der Publikation nicht vorbeigehen.
Rezension: Dr. Nils Freytag
