Mit seinem Buch über die Geschichte der Wehrmachtjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus legt der renommierte Militärhistoriker und Jurist Manfred Messerschmidt ein Standardwerk vor. Der ehemalige Leitende Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA) in Freiburg bietet hier die Summe seiner umfassenden Forschungen zu diesem Problemfeld. In den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Bild, das man sich in der deutschen Öffentlichkeit von der Wehrmachtjustiz machte, ganz maßgeblich von Repräsentanten ebendieser Justiz geprägt, die jetzt wieder einflußreiche Positionen innehatten. So behaupteten Männer wie Werner Hülle oder Erich Schwinge, die Militärrichter seien auf Distanz zum Hitler-Regime gegangen und hätten sich immer an rechtsstaatliche Prinzipien gehalten. Erst der Fall Filbinger hat 1978 eine kritische Beschäftigung mit der Militärjustiz in der NS-Zeit angestoßen.
Während des Zweiten Weltkriegs fielen in den Zuständigkeitsbereich der Wehrmachtjustiz die Angehörigen der Wehrmacht, die Zivilpersonen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten und die Kriegsgefangenen. Eine besondere Betrachtung widmet Messerschmidt dem Bewährungs- und Lagersystem, den „Bewährungsbataillonen“ und Wehrmachtgefängnissen, in denen die Opfer dieser Justiz einsitzen mußten. In der Endphase des Krieges, so stellt er heraus, radikalisierte sich die Wehrmachtjustiz noch einmal und entfernte sich vollends von rechtsstaatlichen Grundsätzen.
Die Bilanz der deutschen Militärjustiz in der NS-Zeit ist niederschmetternd, weil sie im historischen wie im internationalen Vergleich einmalig dasteht: Mindestens 25 000 Wehrmachtsangehörige wurden zum Tod verurteilt, etwa 18 000 von ihnen hingerichtet. Erst 50 Jahre nach Kriegsende, am 16. November 1995, kam der Bundesgerichtshof (BGH) zu einem aufsehenerregenden Urteil, das die aktuelle historische Forschung widerspiegelt. Zum Charakter der Wehrmachtjustiz stellte er fest, daß die Kriegsrichter der NS-Zeit die Todesstrafe mißbraucht und eine „Terrorjustiz“ betrieben hätten. Richter, die in der NS-Militärjustiz tätig gewesen waren und danach in der Bundesrepublik ihre Laufbahn fortgesetzt hatten, bezeichnete der BGH als „Blutrichter“, die sich eigentlich „wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten verantworten müssen“.
Rezension: Wette, Wolfram