Der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt hat sich in seinem neuen Buch mit der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit befasst. Im Zentrum steht der Text „De rerum natura“ von Lukrez, der 1417 vom italienischen Humanisten und „Manuskriptjäger“ Poggio Bracciolini in einem deutschen Kloster wiederentdeckt wurde. Diesen Text mit seiner Auffassung von einer Welt ohne Schöpfungsplan und dem Menschen als Naturwesen wertet Greenblatt als „Agens“ eines „Richtungswechsels“ hin zur Moderne.
Über antike Philosophie und ihre Rezeption, über Philologie und Humanismus kann man vieles bei Greenblatt lernen. Und fraglos ist das Buch glänzend geschrieben, verfasst wie ein Entdeckerkrimi. Doch Greenblatts krasse Gegenüberstellung von Mittelalter und Renaissance überzeugt nicht. So ist einmal wieder das Mittelalter finster, das Christentum und die Kirche im Wesentlichen Negativfolie und die Renaissance eine Zeit des Lichts und der anbrechenden Moderne. Dabei hat die Wissenschaft inzwischen zu Recht ein wesentlich differenzierteres Mittelalter-Bild entwickelt und klargestellt, dass viele der angeblichen „Errungenschaften“ der Renaissance ihre Wurzeln bereits in früheren Jahrhunderten hatten.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger