Das Bild auf dem Einband des Buchs über die „Wunschkindpille“ ist Programm: Es zeigt einen Herrn in Anzug und Krawatte inmitten eines Ehebettes sitzend und mit erhobenem Zeigefinger dozierend, eingerahmt von einem sichtlich gelangweilten Paar, gleichsam als Ausweis für das SED-staatliche Vordringen bis in die Schlafzimmer der DDR. Als 1965 „Ovosiston“ des „VEB Jenapharm“ als Kontrazeptivum auf der Leipziger Messe präsentiert und ausgezeichnet wurde, war der Startschuss zur Verhütungsrevolution auch für die damaligen Ostblock-Staaten gefallen. Der geschickt gegen die westliche Anti-Baby-Pille positiv gewendete Begriff „Wunschkindpille“ kam 1969 erstmals auf und spiegelte die doppelte Intention der Pille: die weitere Förderung der Integration der Frauen ins Erwerbsleben bei gleichzeitiger Steigerung der Geburtenrate. Eine ganze Legion von Akteuren gab dem neuen Produkt ihr weitgehend positives Geleit: Angefangen bei Politikern und Funktionären über Pharmazeuten und Ärzte bis hin zu Sexual- und Familienberatern, feierte man das Hormonpräparat als weiteren Schritt zur weiblichen Gleichberechtigung. Doch das war nur die eine Seite der Medaille. Das Buch von Annette Leo und Christian König zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur die „offizielle“ Seite beleuchtet, sondern durch eine Vielzahl von lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen unterschiedlicher Generation und sozialer Herkunft ein sehr facettenreiches Bild der Praxis mit der Wunschkindpille vermittelt. Sich der Pille zu entziehen, so nur einer der vielen spannenden Befunde, und sich, unterstützt durch kirchliche Schulungen, für „natürliche Verhütungspraktiken“ zu entscheiden, konnte zu einem Akt der Selbstbehauptung werden, den die Frauen durchaus nicht als konservativ zu werten bereit waren. Zu kurz kommt in der lesenswerten Studie lediglich der vergleichende Blick in den Westen, der wohl auch für die befragten Zeitzeuginnen dazugehörte.
Rezension: Prof. Dr. Gunilla Budde