„Die Völkerwanderung, ihre Gründe und Auswirkungen treffen heutzutage auf ungeheures Interesse“ konstatiert eingangs der Autor Malcolm Todd, renommierter britischer Archäologe, wo man doch ständig mit Fragen der Migration, Flüchtlingselend und Asylproblematik konfrontiert wird. Sein Buch behandelt nicht nur – wie der Titel erwarten ließe – die traditionelle Völkerwanderung von der hunnischen Invasion 375 bis zum Zug der Langobarden nach Italien 568, sondern in viel weiterem Rahmen die Zeit der „Völkerwanderungen“ von den Zügen der transalpinen Kelten um 400 v. Chr. bis zu Slawen, Awaren und Bulgaren im 7. Jahrhundert. Nach einleitenden Ausführungen über den Gang der oft politisch belasteten Forschung, über die heute viel diskutierten ethnischen Begriffe (Stamm, Volk, Nation) und über die unterschiedlichen Klimazonen und ihrem möglichen Einfluß auf die Wanderungen, folgen Kapitel über die „keltische Diaspora“, die frühen Kontakte Roms mit den Germanen und die „Steppenvölker aus dem Osten“ (Skythen, Sarmaten und die Hsiung-nu, die Vorfahren der Hunnen). Das umfangreichere Kapitel „Wandel im Westen“ gilt im ersten Teil den Alemannen, den Franken und den Angeln und Sachsen, im zweiten den Hunnen, Wandalen, Westgoten und Ostgoten. Schließlich folgen die „Nachwirkungen im 6. Jahrhundert“, das heißt die Langobarden, Bajuwaren, Slawen, Awaren und Bulgaren. Die aus Vorlesungen erwachsenen Texte zu einem harmonischen Ganzen zu verarbeiten, ist dem Autor nicht ganz gelungen. So finden sich oft etwas unvermittelt nebeneinander Abschnitte über verschiedene Völker, ohne den rechten Zusammenhang, und dadurch bedingte Wiederholungen. Die beigegebenen Schwarzweiß-Abbildungen und Karten lassen zu wünschen übrig: Die vorgeführten archäologischen Fundstücke sind häufig (für den Nichtfachmann) zu knapp erläutert, auf den Karten sind die Grau-Schattierungen teilweise schwer zu unterscheiden. Das Schlußkapitel „Wandern, Bleiben und Verändern“ charakterisiert noch einmal „die unterschiedlichen Arten von Völkerwanderungen in Europa“ und fragt nach Ursachen und Impulsen – eine Frage, die kaum je zufriedenstellend zu beantworten sein wird. Der Autor beschränkt sich denn auch auf zumTeil banale Feststellungen wie „Eine große Unbekannte ist das Ziel Attilas, falls er jemals eines hatte“. Leider sind so schlichte Aussagen wie „Mehrere Wanderungen von Völkern in der spätrömischen Zeit und auch danach dauern länger und haben keine bestimmte Richtung“ typisch nicht nur für das Schlußkapitel. Die Übersetzung ist nicht immer korrekt (zum Beispiel „Donauländereien“, „provinziell“ statt „provinzialrömisch“, „die Lech“, die „Felder von Katalanien“ statt „Katalaunische Felder“). Die „Literaturauswahl“ macht einen eher zufälligen Eindruck, läßt wichtige neuere Standardwerke vermissen und ist nicht fehlerfrei; das völlig unzureichende Register bietet – offenbar nach dem Zufallsprinzip – nur einen Bruchteil der erwähnten Orts- und Personennamen. Für einen knappen, präzisen Überblick sei eher das neue Taschenbuch von Klaus Rosen empfohlen.
Rezension: Nonn, Ulrich