Ablehnung oder Begeisterung, düstere Vorahnungen oder Zukunftshoffnung: Wie reagierten die Deutschen auf den Macht‧antritt Hitlers? Wie nahmen sie die darauf folgenden, zum Teil massiven Eingriffe in ihr Alltags- und Privatleben wahr, und wie positionierten sie sich innerhalb der von den Nazis propagierten „Volksgemeinschaft“? Der Schweizer Historiker Janosch Steuwer hat zur Beantwortung dieser Fragen rund 140 Tagebücher, die zwischen 1930 und 1939 entstanden und von „unbekannten Privatleuten“ stammen, als Hauptquelle herangezogen. Der Vorteil: Anders als bei im Nachhinein verfassten Lebenserinnerungen bieten Tagebücher einen zeitgleichen Einblick in Gedanken und Gefühle des Schreibers bzw. der Schreiberin.
Steuwer findet eine große Variationsbreite individueller Reaktionen, zunächst auf die „Machtergreifung“. Danach analysiert er, wie Zeitgenossen ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus bestimmten, wobei es eine große Rolle spielte, wie sich Freunde und Verwandte verhielten. Er legt die Mechanismen der Anpassung und des Widerstands dar, zeigt den Konkurrenzkampf um die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ und lässt die zunehmende soziale Isolation der „Gegner“ des NS-Regimes deutlich werden. Damit leistet Steuwer einen gewichtigen Beitrag zu einer Erfahrungsgeschichte des Nationalsozialismus.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger