Die Frage „Was ist Europa?“ wird gerade heute bei den Erweiterungsdebatten der Europäischen Union immer wieder diskutiert. So ist es ein hilfreiches und aufschlussreiches Projekt, den Blick auf die europäische Kulturgeschichte zu werfen und herauszustellen, wie man sich in vergangener Zeit dem Begriff Europa zuwandte und welche Konzeptionen dazu in der Überlieferung erscheinen. Diesem umfangreichen Unterfangen widmet sich der Leipziger Kultursoziologe Wolfgang Geier. Dass der Autor dabei sein Augenmerk häufig gen Osteuropa richtet, macht sein Werk gerade im Hinblick auf aktuelle Diskussionen zu einem gelungenen und lesenswerten Beitrag.
Zunächst stellt Geier Begriffshintergründe und viele mythologische Deutungsmuster „Europas“ aus der griechisch-römischen Antike vor. Bereits hier wird deutlich, dass Gestalt und Wesen Europas zu allen Zeiten ein flexibles und umstrittenes Konstrukt darstellten. Da die Bezeichnung „Europa“ vornehmlich in Abgrenzung zu „Asia“ gefasst wurde – häufig mitsamt der Erwähnung einer feindlichen Bedrohung aus dem Osten – fokussiert Geier eine Annäherung an Europa mit der Beschreibung des Spannungsfelds zwischen Okzident und Orient. Von den politischen und kirchengeschichtlichen Differenzierungen des Kontinents über die Kreuzzüge bis hin zur Türkenbedrohung der Neuzeit reichen seine Überlegungen. Des Weiteren bietet das Buch von der frühen Neuzeit bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein eine geistesgeschichtliche Schau von vielen zum Teil vergessenen europäischen Visionären und Bewegungen.
Über die teilweise sehr rudimentären Erörterungen der historischen Entwicklungen tröstet eine breite Kommentierung zeitgenössischer Autoren hinweg, die er in vielen Zitaten im Hintergrund der Ereignisse sprechen lässt. Es ist eine gewinnbringende Leistung dieses Buches, eine große Bandbreite an Schriften zu „Ansichten und Ideen Europas“ zusammenzutragen und damit einen aufschlussreichen Überblick zum Themenfeld „Europa“ zu liefern.
Rezension: Stetzler, Fabian