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Fitness als Biopolitik

Jürgen Martschukat

Fitness als Biopolitik

Der Fitness-Kult prägt unsere körperorientierte Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft und geht einher mit der Sorge um Übergewicht bis hin zu Adipositas. Beides führt zur Ausgrenzung von Körpern, die nicht schlank und muskulös sind, oft entlang von Unterschieden der Klasse und – insbesondere in den USA – der „Rasse“ („Lifestyle-Rassismus“).

Die Klärung der Entstehung des Fitness-Kults und seiner Bedeutung ist das Ziel des lesenswerten Buchs von Jürgen Martschukat. Der Historiker zeichnet zunächst die Wechselwirkungen zwischen Deutschland und den USA nach: Im 19. Jahrhundert brachten deutsche Immigranten Turnpraktiken und Körpertrainings mit in die USA; seit den 1980er Jahren überwiegen Transfers in die Gegenrichtung.

Martschukat versteht Fitness als Biopolitik, also als eine Regierungstechnik, mit der Gesellschaften durch Einwirkung auf den Körper gesteuert werden. Die entscheidende Zäsur begann mit den Ölkrisen der 1970er Jahre, auf die Politik und Unternehmen mit neoliberalen Konzepten nach dem Motto „mehr Markt und weniger Sozialstaat“ reagierten. Dazu passte das „selbstverantwortliche Subjekt“. Die Risiken der Arbeitskraftverwertung sollte der Einzelne selbst tragen.

Demgegenüber bedeutete der englische Begriff „Fitness“ in der Aufklärungszeit die Einordnung des Menschen in eine als statisch gedachte Gesellschaft. Mit Darwins Idee vom survival of the fittest wurde zwar die eigene Leistung wichtig, aber das Ziel dieser Leistung blieb noch statisch. Mit der Angst vor einer Degeneration des Menschen, die sich um 1900 herausbildete, wurde die Idee einer ständigen Selbstverbesserung dominant.

Die Bedeutungen von „Fitness“ differenzierten sich dann aus. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Betriebssport in die Arbeitswelt integriert, wobei die Angestellten wegen ihrer sitzenden Tätigkeit zur bevorzugten Zielgruppe wurden. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Debatte um Herz-Kreislauf-Erkrankungen („Managerkrankheit“) einen neuen Schub. TV-Sendungen boten Anleitungen zum häuslichen Sport; jeder sollte für sich trainieren. Die Aerobic-Videos von Jane Fonda richteten sich gezielt an Frauen. In den 1980er Jahren begann der Aufstieg der Fitness-Studios.

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Mit der Einführung von „Viagra“ 1998 wurden Fitness und Sexualität miteinander verbunden. Nach Ansicht der Nutzer des Mittels erlaubte es eine Wiederherstellung von Männlichkeit. Die damit einhergehende Leistungsorientierung hielten Frauen aber nicht immer für positiv. Fitness und Kampf ist der dritte Bedeutungsstrang. Die seit dem 19. Jahrhundert enge Verbindung von Wehrfähigkeit, Männlichkeit und Heldentum war spätestens nach dem Vietnam-Krieg auch in den USA in Verruf geraten, doch nun wurde der Kampf um den sportlichen Körper zum neuen Schlachtfeld erklärt. In einer immer stärker militarisierten US-Kultur erhielt er seit 2001 ein ideales Umfeld, während bei uns die globalisierte Arbeitswelt als Ansporn zur immerwährenden Selbstverbesserung ausreicht.

Leider geht Martschukat kaum auf die Sicht der Betroffenen ein, es stehen fast durchgehend die Intentionen der Sport-anbieter im Vordergrund. Und: Ist der Fitness-Gedanke wirklich nur von außen gesteuert? Dass Bewegung einfach auch Freude machen kann, äußert Martschukat erst auf der letzten Seite.

Rezension: Prof. Dr. Martin Dinges

Jürgen Martschukat
Das Zeitalter der Fitness
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019, 352 Seiten, € 25,–

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