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Gustav Stresemann – Biografie eines Grenzgängers

Karl Heinrich Pohl

Gustav Stresemann – Biografie eines Grenzgängers

Diese Biographie über den DVP-Politiker, Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann (1878 –1929) ist eher eine Liebhaberei, kein neues Standardwerk. Sie wirkt, als habe sie schon etwas länger in der Schublade gelegen. Behutsam wird in den Forschungsstand zurückliegender Tage eingeführt; sozial und psychologisch soll es zugehen, Theorie-Stichworte der 50er bis 70er Jahre werden recycelt. Der soziale Aufstieg des Kleinbürgers in die Elite – Stresemanns Vater besaß eine Gastwirtschaft – sowie das innere und äußere Ringen um Akzeptanz und soziale Rollen, das sind die Leitmotive, aus denen der Historiker Karl Heinrich Pohl sein Buch aufbaut

Und doch bietet das Werk jedem, der über Stresemann schon einiges weiß, immer wieder Lesegenuss. Das liegt daran, dass Pohl ein guter Erzähler ist, vor allem aber daran, dass er seinen Protagonisten in die Kultur seiner Zeit einbettet. Stresemanns Krankengeschichte und Gedichte, sein Verhältnis zu Frauen und dubiosen rechten Männerbünden, sein Kampf, als Bildungsbürger akzeptiert zu werden, das sind kulturgeschichtliche Passagen von großem Reiz, die auch biographische Erklärungskraft entfalten. Pohls besondere Stärke sind die lokalen Verhältnisse, vor allem Stresemanns Aufstieg zur Führungsfigur der Nationalliberalen Partei in Sachsen.

Aber man will natürlich wissen, was Pohl über den Stresemann zu sagen hat, der nach dem Krieg die große nationale und internationale Bühne betrat. Und hier stellt sich schnell Enttäuschung ein. Stresemann war das Vorbild Hans-Dietrich Genschers; der deutsch-amerikanische Politiktheoretiker Hans Morgenthau hat anhand von Stresemann amerikanische Prä-sidenten gelehrt, was gute Außenpolitik ausmache, die internationale Werte und nationale Interessen gleichermaßen berücksichtigt. Ein ausgewogenes Bild von Stresemanns Außenpolitik zeichnet Pohl nicht. Und wenn der Autor Stresemann einen „Zwangsrepublikaner“ nennt, verrät diese Pointe doch allzu sehr das Werturteilsgerüst einer älteren Geschichtsschreibung, die alles und jeden daran maß, ob es und er sofort und vollständig ihrem Ideal von Politik und Demokratie entsprach.

Aber nach dem Ersten Weltkrieg musste die Demokratie als Praxis überhaupt erst einmal erfunden und betrieben werden. Menschen sind voller Widersprüche; man konnte dem Kaiserreich nachtrauern und doch ein guter Demokrat werden. Demokraten mussten nicht radikale Sozialpolitik unterstützen – das wäre eine Verengung historischer Offenheit. Als Stresemann 1929 starb, aufgezehrt für die Weimarer Republik, Nationalist, westlich denkender Europäer und Internationalist zugleich, ein Demokrat, wie ihn diese Zeit hervorbrachte, war den Zeitgenossen bewusst, dass sie einen der mächtigsten Repräsentanten der Demokratie verloren hatten. Der britische Konservative Churchill hatte Stresemann zuvor schon als einen der Architekten einer dauerhaften Friedensordnung gepriesen. Pohl will so sehr der gründlichen Forschung über Stresemanns Außenpolitik widersprechen, dass er das Wesentliche übersieht.

Rezension: Dr. Tim B. Müller

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Karl Heinrich Pohl
Gustav Stresemann – Biografie eines Grenzgängers
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, 353 Seiten, Buchpreis € 50,00
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