Vom 12. bis zum 21. Jahrhundert erfüllte Heinrich der Löwe auf unterschiedliche Weise die historischen Sehnsüchte der Menschen. Als Herzog von Bayern und Sachsen wie als Eroberer im Land östlich der Elbe nahm er eine fast königsgleiche Stellung im staufischen Reich ein. Seine Herrschaftsrepräsentation prägte die höfische Kultur des hohen Mittelalters und schuf in Braunschweig den Prototyp einer fürstlichen Residenz. Und als Partner wie als Feind Kaiser Friedrich Barbarossas zog er die Liebe und den Hass seiner Zeitgenossen auf sich. Seit seiner Jugend lotete dieser Welfe jedenfalls die Grenzen seiner Möglichkeiten aus.
Lange blieb Heinrich der Löwe ein bevorzugtes Thema der deutschen Nationalgeschichtsschreibung. In einem schlanken Taschenbuch präsentierte Joachim Ehlers ihn dagegen 1997 als europäischen Fürsten. Diese neue Sicht gipfelt nun in einer großen Biographie von nahezu 500 Seiten, die sich durch weite Perspektiven und einen glänzenden Stil auszeichnet. Nicht moderne Interpretationen von Politik oder Staat lenken dem Autor die Feder, sondern der konsequente Versuch, die Andersartigkeit des 12. Jahrhunderts aus zeitgenössischen Deutungs- und Handlungsmustern zu ermitteln. So bändigt er überzeugend die Vielfalt des Löwenlebens.
Mit umfassender Quellenkenntnis bezieht Ehlers wiederholt Position gegen Versuche, die mittelalterliche Faktengeschichte in bloßen Gedächtniskonstrukten zerrinnen zu lassen. Darum verwirft er neueste Überlegungen, welche die berühmte Begegnung Barbarossas und Heinrichs des Löwen in Chiavenna als Geschichtserfindung zur episodischen Erklärung einer Männerfeindschaft begreifen wollen. Das Treffen von Kaiser und Herzog vor der vernichtenden Niederlage des Staufers gegen die oberitalienischen Städte hat in diesem Buch Bestand. Es bezieht auch in vielen anderen Forschungskontroversen klare Positionen, vom umstrittenen Geburtsjahr des Löwen (1133/1135) bis zur Datierung seines Braunschweiger Grabmals (spätestens 1210). Darum nimmt man diese große Biographie als gelungenes historisches Lesebuch wie als kenntnisreichen Forschungsbeitrag gleichermaßen gern zur Hand.
Rezension: Schneidmüller, Bernd