Nach Ovid, Catull und Vergil hat sich der Münchner Latinist Niklas Holzberg mit Horaz nun den vierten aus der Reihe der großen Dichter des spätrepublikanischen und frühkaiserzeitlichen Rom vorgenommen. Und anders, als es der eher konventionelle Untertitel suggerieren mag, präsentiert er eine höchst originelle, inspirierende Darstellung jenes Schriftstellers, der früher einmal zum allgemeinen Bildungskanon gehörte, heute jedoch bestenfalls zu einem bloßen „Lieferanten geflügelter Worte“ mutiert ist. Und selbst in dieser Hinsicht ist seine Urheberschaft etwa für das berühmte „carpe diem“ („nutze den Tag“) weitgehend in Vergessenheit geraten.
65 v. Chr. geboren (zwei Jahre früher als der spätere Kaiser Augustus) und 8 v. Chr. gestorben, war Horaz Zeuge einer turbulenten Phase der römischen Geschichte, die von dem Zerfall der republikani‧schen Ordnung, erbitterten Bürgerkriegen und der Eta-blierung eines neuen monarchischen Systems durch Augustus geprägt gewesen ist. Die Werke des Horaz – die Satiren, Epoden, Oden und Episteln – sind voll von Anspielungen auf diese Vorgänge, gehörte der Dichter doch zum elitären Kreis des Augustus-Freundes Maecenas und damit zur Entourage des Kaisers selbst. Indes bewahrte sich Horaz, weit davon entfernt, sich politisch vereinnahmen zu lassen, ein hohes Maß an kritischem Esprit und literarischer Unabhängigkeit.
In stilistisch brillanter Weise führt Holzberg den Leser durch die komplexe lyrische Welt des Horaz und entwickelt dadurch, dass er seine Werke linear im Duktus ihrer Entstehung liest und interpretiert, ein außerordentlich lebendiges Bild von der Vielschichtigkeit, die diese Werke mit ihrem hohen Reflexionsgrad prägen. In seinem lobenswerten Bestreben, Horaz aus der lyrischen Requisitenkammer zu befreien, in der man ihn seit einigen Jahrzehnten abgestellt hat, bedient sich Holzberg allerdings einer gelegentlich überstrapazierten Modernität, wie sie etwa in den Anspielungen auf den Hollywood-Film „Der Club der toten Dichter“ zum Ausdruck kommt. Aber wenn sie dazu beitragen, diesem nicht nur dichterisch, sondern auch historisch bedeutsamen Schriftsteller ein neues, auf Hochglanz poliertes Denkmal zu setzen, sollte dies nicht mehr als ein kleiner Schönheitsfehler sein.
Rezension: Prof. Dr. Holger Sonnabend