Jerusalem gilt Juden, Christen und Muslimen als heilige Stadt. Auf der Grundlage zahlreicher literarischer Quellen und aktueller archäologischer Erkenntnisse zeichnet der Siegener Theologieprofessor Bernd Kollmann die reiche Geschichte Jerusalems zur Zeit Jesu und der ersten Christen nach. Zur Sprache kommen dabei nicht nur die historischen Ereignisse und politischen Vorgänge während der hellenistisch-römischen Zeit, sondern auch die alltäglichen Lebensverhältnisse der Stadtbevölkerung.
Die einzelnen Kapitel des Buchs behandeln die Anfänge Jerusalems, die religiöse und kulturelle Krise zur Zeit der Syrer-Herrschaft, den Aufstieg und die Regierungszeit des Königs Herodes, den andauernden Kultbetrieb am Jerusalemer Tempel, die römische Provinzverwaltung, die jüdischen Aufstandsbewegungen gegen das Imperium und Grundzüge der weiteren Geschichte der Heiligen Stadt bis in die Gegenwart.
Ein besonderes Augenmerk gilt den zeitgenössischen Ausprägungen des antiken jüdischen Glaubens, der geschichtlichen Gestalt Jesu aus Nazareth und der Entfaltung und Verbreitung des Christentums. Man erfährt viele interessante Einzelheiten zum Beispiel über religiöse Strömungen innerhalb des Judentums, über private Bestattungsbräuche oder über griechische und römische Kultorte innerhalb Jerusalems.
Die durchweg reichillustrierten Schilderungen entsprechen dabei zwar zumeist dem aktuellen Stand der historischen und bibelexegetischen Wissenschaft, sind aber an manchen Stellen etwas undifferenziert. So wäre etwa dar-auf hinzuweisen, dass das komplexe Verhältnis zwischen den uneinheitlichen Textfunden vom Toten Meer, dem archäologischen Befund hinsichtlich des Siedlungshügels Khirbet Qumran und der in antiken Quellen erwähnten Gemeinschaft der Essener immer noch nicht in befriedigender Weise geklärt ist.
Ebenso ist die dauerhafte Existenz einer festumrissenen Religionspartei der Zeloten durchaus umstritten. Ob die bekannte Geschichte von der Vertreibung der Händler aus dem Tempel durch Jesus in der neutestamentlichen Überlieferung mehr ist als der Versuch einer frühchristlichen literarischen Verhältnisbestimmung gegenüber dem Judentum, wäre zu diskutieren. Und auch die diplomatische Bemerkung, dass die Echtheit der Passionsreliquien „umstritten“ ist, erscheint mir arg zurückhaltend.
Diese punktuelle Kritik soll den beträchtlichen Wert des ebenso gründlichen und informativen wie spannend zu lesenden Bands keinesfalls schmälern. Sie weist aber eben darauf hin, dass er vor allem ein christliches Lesepublikum ansprechen will, das durch seine Lektüre zweifellos immens bereichert wird. Manche der hermeneutischen und historischen Probleme der antiken jüdischen und frühchristlichen Tradition werden ihm jedoch vorenthalten oder in vergröberter Gestalt dargelegt.
Rezension: Prof. Dr. Michael Tilly