„Heldenmütige Mädchen … Mutig pendeln sie zwischen Polens Städten hin und her … Jeden Tag schweben sie in tödlicher Gefahr … Nichts kann sie aufhalten. Nichts schreckt sie ab …“, schrieb der polnisch-jüdische Historiker und Leiter des Untergrundarchivs im Warschauer Ghetto, Emanuel Ringelblum, im Mai 1942 in sein Tagebuch.
Dass Frauen aktiv und gewaltsam Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft geleistet haben, ist leider noch immer wenig bekannt und offenbar mit klassischen Rollenbildern schwer vereinbar (siehe dazu das Titelthema in DAMALS 1-2022). Dass auch Jüdinnen sich dem bewaffneten Kampf erfolgreich angeschlossen haben, dokumentiert jetzt das Buch der kanadischen Historikerin Judy Batalion. Auf der Basis umfangreicher Quellenrecherchen in Archiven und Bibliotheken sowie Gesprächen mit Zeitzeuginnen und deren Angehörigen erzählt die Autorin anschaulich von der eindrucksvollen Gegenwehr gerade junger jüdischer Frauen in Polen gegen die brutale Ermordung ihrer Familien und gegen die Zerstörung ihrer Häuser und Dörfer.
Dabei beschränkte sich ihr beeindruckender Einsatz nicht nur auf die so wichtigen Kurierdienste mit geheimen Nachrichten, vielmehr organisierten sie Nahrungsmittel und gefälschte
Papiere, bestachen Gestapo-Beamte, schmuggelten Waffen, errichteten unterirdische Bunker, bombardierten Zuglinien, warfen Handgranaten, kämpften mit Schusswaffen – und verloren dabei oft ihr Leben.
Jüdische Frauen fielen weniger auf und konnten nicht so leicht enttarnt werden wie die beschnittenen Männer. Zudem sprachen sie oft neben Jiddisch akzentfrei Polnisch. Eine der wenigen, die überlebten, war Renia Kukielka, die bei einer katholischen Familie als Hausmädchen unterkommen konnte. Sie transportierte Waffen und versteckte Juden aus dem Ghetto, bis die Gestapo sie verhaftete und folterte. Mit Hilfe anderer Frauen konnte sie ausbrechen und nach Palästina fliehen. Ihre Erlebnisse hielt sie schriftlich fest, sprach aber nicht mit ihrer Familie darüber. Finanzielle Entschädigung beantragte sie in Deutschland nicht, weil sie ihre Erfahrungen nicht erneut darstellen wollte.
Judy Batalion hält die bewegenden Geschichten und Taten von Frauen fest, schildert aber auch das Leiden in den Verhören der Gestapo, in den Gefängnissen und KZs, die nur wenige überlebten. Sie thematisiert die lange verdrängte sexuelle Gewalt gegen Jüdinnen und die schwierige Lage der überlebenden Widerstandskämpferinnen nach 1945. Auch sie hatten Schuldgefühle, weil sie überlebten und nicht alle retten konnten. Auch sie konnten mit ihren Kindern nicht darüber reden oder wurden oft genug nicht gehört.
Das Buch von Batalion ist besonders wichtig, weil es diesen mutigen Frauen eine Stimme gibt. Die gut lesbare Darstellung schließt eine gravierende Lücke in der Geschichte des Nationalsozialismus.
Rezension: Prof. Dr. Dr. Rainer Hering
Judy Batalion
Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns
Die vergessene Geschichte jüdischer Freiheitskämpferinnen
Piper Verlag, München 2021, 622 Seiten, € 25,–