Der Neandertaler – eine Art gescheiterte Vorabversion des modernen Menschen? Rebecca Wragg Sykes widerspricht heftig. Die britische Archäologin und Publizistin fordert ihre Leser zu einem Gedankenexperiment auf: Was wäre passiert, wenn das namengebende Teilskelett nicht 1856 entdeckt worden wäre, sondern erst 2010?
Dann wären die gentechnischen Werkzeuge vorhanden gewesen, um sofort zu erkennen, dass die Neandertaler ein Zweig der eigenen Familie waren und der Großteil der heutigen Menschheit ein paar Prozent ihrer Gene im Erbgut trägt. Wer hätte diesen Cousins und Cousinen noch Etiketten wie „äffisch“ und „primitiv“ aufkleben wollen – und sie zu Versagern erklären, nur weil sie vor knapp 40000 Jahren verschwunden sind?
Sykes ist ein herausragend gut geschriebenes Alles-über-den-Neandertaler-Buch gelungen, dessen Originalversion schon 2020 im angloamerikanischen Sprachraum begeistert aufgenommen wurde. Die Autorin bietet spannende, stets verständliche und fachlich korrekte Einblicke in die Lebenswelt einer erfolgreichen Menschenform. Thorwald Ewe
Rebecca Wragg Sykes
DER VERKANNTE MENSCH
Goldmann, 512 S., € 24,–
ISBN 978–3–442–31656–4