In der Rückschau wirkt das mittelalterliche Jahrtausend wie eine Zeit ständiger Kämpfe. Neben der täglichen Gewalt blieben große Kriege und Schlachten aber vergleichsweise selten, weil in einer Epoche knapper Ressourcen der Einsatz von Menschen und Material genau kalkuliert wurde. Dafür gruben sich epochale Siege oder Niederlagen umso tiefer in die Geschichte der Völker ein.
Bis heute sind die Namen unscheinbarer Orte bekannt, an denen einst die Helden fielen: Fontenoy, Cotrone, Hastings, Hattin, Bouvines, Dürnkrut, Crécy, Maupertuis, Nikopolis, Tannenberg/Grunwald, Azincourt. Fast immer wurden die Schlachtengeschichten von den Siegern geschrieben. Die Sachsen aber, die am Süntel starben, die Angelsachsen, die in Hastings untergingen, die Kreuzritter, die in Hattin ihre Katastrophe erlebten – scheinbar zerrann das Schicksal der Verlierer im bloßen Vergessen.
Jetzt konzentriert sich das kluge Buch von Manfred Clauss auf die großen Kriegsniederlagen des Mittelalters, auf ihre Darstellung, Deutung und Bewältigung. Ausgangspunkt ist die provozierende These des Historikers Reinhart Koselleck, dass Siege als selbstverständlich empfunden wurden, Niederlagen aber bei den Betroffenen Lernprozesse hervorriefen. Wie sollte man das Geschehen in die göttliche Weltordnung einfügen? Wie konnte man es seinen Kindern erklären? Welche Rolle spielte das eigene Versagen, der Verrat, das schlechte Wetter? Clauss bestätigt und erweitert die Antworten auf solche Fragen.
Seine Studie bietet ein Musterbeispiel für den modernen Umgang mit alten Quellen, ihren typologischen Mustern und Erzähltraditionen. Hier stehen unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dasselbe Ereignis nebeneinander, ohne dass es um die einzige historische Wahrheit ginge. Man muss freilich schon viel über die Fakten wissen, um diesen theoretischen Zugriff auf mittelalterliche Perspektiven ohne chronologische Abläufe zu genießen. Wer aber die Kriegsgeschichte bereits gut kennt, kann ihre Quellengrundlagen jetzt neu beurteilen.
Rezension: Prof. Dr. Bernd Schneidmüller