In vielerlei Hinsicht setzt das Werk „Krisenherd Adria“ von Rolf Wörsdörfer neue Akzente in der gegenwärtigen Nationalismusforschung. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich soziale Gruppen national artikuliert haben. Dies beleuchtet er etwa am Beispiel der Partisanen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, die dem Widerstand jeweils unterschiedliche Bedeutung beigemessen haben. Stand mit dem italienischen Risorgimento der Gedanke an eine Zentralmacht im Vordergrund, so dominierte auf der Gegenseite die Rückbesinnung auf die südslawischen (Teil-) Nationen. Aber auch erstaunlich viele Parallelen im Grenzgebiet bringt Wörsdörfers innovative Herangehensweise ans Licht: Im Schul- und Vereinswesen etwa, das im Ersten Weltkrieg auf beiden Seiten durch ein Demokratiedefizit gekennzeichnet war. Anhand von symbolischen Akten, die der serbische König Aleksandr Karadordevic und der italienische König Viktor Emanuel III. auf ihrer Reise durch die Grenzgebiete vollzogen, um ihre jeweilige Herrschaft zu legitimieren, zeigt er unter anderem, daß der Erste Weltkrieg auf beiden Seiten eine neue Wirkungsmacht des Nationalen ausgelöst hat. Mit der Machtergreifung Mussolinis vertieften sich die Gegensätze, die aus dem gemeinsamen Anspruch auf das früher österreichische Küstenland erwuchsen. Auch hier finden sich Parallelen beider Diktaturen, die „Italianità“ und ”Jugoslovenstvo“ nach 1938 als repressive Ideologien „verordneten“ und als Mittel zu Ausschluß und Eingliederung an ihren Grenzen instrumentalisierten. Mit seiner vergleichenden Darstellung der Entwicklung im italienisch-jugoslawischen Grenzraum gelingt es Wörsdörfer, das Ost-West-Paradigma vom „rückständigen“ Südosteuropa und dem „modernen“ Westeuropa zu widerlegen. Damit macht er deutlich, daß die Nationalismusforschung ohne die Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen in Grenzräumen nicht mehr auskommt.
Die chronologisch gegliederte Arbeit umfaßt eine Zeitspanne von den beginnenden Nationalströmungen im 19. Jahrhundert bis zum ersten Nachkriegsjahrzehnt. In diesem Zeitraum wird Nationalismus als komplexer Prozeß faßbar, der sich aus dem Nach- und Nebeneinander von Staatlichkeiten im Zusammenwirken mit den diversen sozialen Gruppen ständig neu formiert hat und in der Gegenwart fortwirkt.
Rezension: Ziegler, Manuela