Heute wie in der Vormoderne sind Monster beliebt, und man sucht sie in Regionen, die unzugänglich genug sind, um die Erwartungen an die Existenz des Fremdartigen, Spiegelverkehrten, des ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit Vermittelnden dauerhaft bewahren zu können. Von dieser anthropologischen Notwendigkeit geht auch der vorliegende reichbebilderte Band des Bonner Mediävisten Rudolf Simek aus, der das vielfältige Wissen eines langen Forscherlebens zusammenfügt.
Da sind zunächst die „Wundervölker“, die Simek so charakterisiert: „Ganz allgemein ist zu definieren, daß Wundervölker fabelhafte Völker in fernen Ländern sind, die sich in einer noch näher zu bestimmenden Weise von ‚normalen‘ Menschen unterscheiden, und zwar nicht auf einmalige Art … sondern auf eine für das ganze Volk gültigen Weise“.
Der Autor verfolgt die – solange sie an Land leben – stets menschlichen monstruösen Völker aus der Antike ins Mittelalter, systematisiert, typisiert und erklärt sie. Dabei betont er völlig zu Recht die Andersartigkeit, nicht „Falschheit“, der mittelalter‧lichen Vorstellungen, was aber auch einmal konterkariert wird durch Wertungen wie die der „bemitleidenswert peinlichen“ Form des Ethnozentrismus, der man damals angehangen habe.
Nach dieser Überblicksdarstellung folgt, gleichsam durch sie eingeleitet, ein extrem hilf‧reiches „Lexikon der menschlichen Monster im Mittelalter“. Hier sind alphabetisch geordnet die Monstra zusammengestellt, nach Originalbezeichnung und möglichst mit deutscher Übersetzung. Besonders informativ auch für den Laien, an den sich das insgesamt mit wenigen Anmerkungen versehene Buch wendet, ist hier die seitenlange Abfolge von „Menschen mit XY“ (Buckel, Drachenschwänzen und Ähnlichem).
Es folgen ein kommentiertes Quellenverzeichnis, eine sehr reduzierte Bibliographie und ein Abbildungsverzeichnis; leider kein Index. So hilfreich das Lexikon ist, hat es doch deutliche Defizite in der Benutzung. Die Quellenverweise sind grundsätzlich aufschlüsselbar durch das kommentierte Quellenverzeichnis, aber die Angaben sind unredigiert, uneinheitlich, oft unvollständig oder uneindeutig (so „Mandeville“ oder „Thomas“ ohne nähere Angabe) und greifen oft nicht auf die neuesten Ausgaben zurück. Die im Band ganz richtig als wichtige Quellen betrachteten Mappae Mundi, wie die Ebstorfer und die Hereford-Weltkarte, werden nach Miller zitiert statt nach den neuen Editionen, Honorius Augustodunensis nach Migne statt nach Flint, um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist sehr schade, denn der Wert des sehr lesenswerten, klug geschriebenen Buchs wird durch solche Schwächen gemindert.
Rezension: Dr. Felicitas Schmieder