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Packeis

Schwartz, Simon

Packeis

„Endlich – der Nordpol.“ Auf diese lapidare Notiz gründet sich der Anspruch Robert Edwin Pearys als erster Mensch den Nordpol gefunden zu haben. Noch vor seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten machte der finanzstarke Ingenieur und Polarforscher den 6. April 1909 zum offiziellen Datum der Entdeckung des Nordpols und sich zu dessen Entdecker. Im gleichen Zug unterminierte er alle anderslautenden Versionen. Kampagnenhaft kompromittierte er die Glaubwürdigkeit seines Forscherkollegen Cook, der den Pol bereits ein Jahr zuvor erreicht haben wollte und bis dato als dessen Entdecker galt. Historisch belegt sind jedoch erst der Überflug des Nordpols im Jahr 1926 durch Roald Amundsen und die Expedition sowjetischer Wissenschaftler 1937. So verwundert es nicht, dass Pearys vermeintliche Entdeckung des Nordpols bis heute Gegenstand von Kontroversen ist und alternativen Szenarien Raum lässt. Der deutsche Comic-Autor Simon Schwartz folgt in seiner 2012 veröffentlichten Graphic Novel „Packeis“ einer konkurrierenden Version, der tragischen Geschichte des Afroamerikaners Matthew Henson, einem langjährigen Expeditionsmitglied und Vertrauten Pearys. Dieser und vier Inuit waren Pearys einzige Begleiter auf dem letzten Streckenabschnitt zum Nordpol. Von den Inuit stammt auch der Mythos des „Mahri Phaluk“, eben jenes „gütigen“ dunkelhäutigen Mannes mit Namen Matthew, der sich ins ewige Eis aufmachte um am Ende der Welt, am Nordpol, den Teufel zu finden. Schwartz nimmt die Mystik der Indigenen auf und vermischt sie mit der Lebensgeschichte Hensons. Der Autor bezieht sich dabei vor allem auf Hensons Biographie von 1947 und auf dessen 1912 erschienenes Buch „A Negro Explorer at the Noth Pole“. Anders als Peary, der seinen langgedienten Forscherkollegen seinem eigenen Ruhm opferte, gelangte Henson, der 1955 völlig verarmt in New York starb, auf Grund seiner Herkunft erst posthum zu seiner verdienten Anerkennung als Pionier und Forscher.

Die Erzählung setzt beim jungen Matrosen Henson ein, der schon früh mit der gängigen Diskriminierung und dem Rassismus seiner Zeit konfrontiert wurde. Durch Zufall gelangte der pfiffige Henson 1887 in die Position eines Gepäckträgers bei Pearys Nicaragua-Expedition und konnte sich bei ihm durch sein Geschick und seine Intelligenz verdient machen. 1891 brach er mit Peary zu dessen Grönlandreise auf, bei der er sich für seinen Chef als äußerst nützlich im Umgang mit den Inuit erwies. Henson sollte die nächsten 20 Jahre nicht mehr von Pearys Seite weichen. Nach mehreren Expeditionen brachen Peary und Henson 1893 zum dritten Mal nach Grönland auf. Von dort aus unternahmen die Abenteurer 1895 einen ersten Vorstoß zum Pol. Die Expedition scheiterte, am Ende wurden Pearys Leben und das seiner Mistreiter von Inuit gerettet. Der von diesen ins Vertrauen gezogene Henson musste in der Folge mit ansehen, wie Peary die kultischen Objekte der Inuit verkaufte und Einheimische für anthropologische Forschungen in die USA verbringen ließ, die bis auf einen alle innerhalb kürzester Zeit an Infektionskrankheiten starben. Nach weiteren jahrelangen erfolglosen Anläufen, zum Nordpol vorzudringen, machten sich Peary und seine Männer 1908 nochmals nach dorthin auf. So weit vorgestoßen wie noch nie und den Ruhm vor Augen, ließ Peary den größten Teil seines Teams umkehren und war am Ende der einzige, der zu einer exakten Positionsbestimmung in der Lage war. In zwei Teams, eines davon führte Henson, arbeiteten sich die beiden Amerikaner und vier Inuit zum Pol vor. Am 6. April 1909 traf zunächst der besser vorankommende Henson, und eine knappe Stunde später Peary am Nordpol ein. Dieser konnte Hensons Vermutung, den Pol erreicht zu haben, nur noch bestätigen. Zurück in Amerika, ließ sich Peary als Entdecker des Nordpols feiern. Über die Beteiligten Henson und die Inuit verlor er fortan kein Wort mehr. Bei diesem Teil der Geschichte angekommen, schildert Schwartz den persönlichen Leidensweg Hensons, der an der erlittenen Ungerechtigkeit und sozialer Ausgrenzung zerbrach.

Es mag dem Genre des Graphic Novel geschuldet sein, dass Schwartz seine moralinsaure Erzählung beinahe ausschließlich auf den tragischen Inhalten in Hensons Leben fußen lässt und die Geschichte entgegen aller möglichen historischen Distanzierung sehr verengt inszeniert. Daran ändert auch die ausführliche Zeittafel im hinteren Teil des Buches nichts. So greift der Comic die bittere Realität des dunkelhäutigen Henson im Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung bedauerlicherweise etwas stereotypenhaft auf. Inwieweit die oftmals nicht unproblematischen Charakterisierungen und Darstellungen, insbesondere die Hensons, aus dessen Biographie übernommen oder bewusst überzeichnet wurden, erschließt sich dem Leser bei der Lektüre leider nicht. Wenngleich Schwartz die offensichtlich lebenslange Verbitterung Hensons und die diesem widerfahrene Ungerechtigkeit illustratorisch sehr drastisch zu potenzieren weiß, steht doch am Ende ein auffallend naiver Comic, der zwar handwerklich überzeugt, der Komplexität von Hensons Biographie und der politisch-soziokulturellen Verfasstheit des vom Rassenhass geprägten Amerika aber nur schwerlich gerecht werden kann.

Rezension: Christian Volkholz

Schwartz, Simon
Packeis
Avant-Verlag, Berlin 2012, 176 Seiten, Buchpreis € 19,95
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