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Romantikerin als Gesundheitsexpertin

Martin Dinges

Romantikerin als Gesundheitsexpertin

Die „ganze Lebenswelt“ Bettine von Arnims, geborene Brentano (1785  – 1859), nimmt Martin Dinges in den Blick, um ihre Vorstellungen von Gesundheit sowie ihr Wissen und ihre Praktiken auf diesem Feld zu schildern. So wird das gewichtige Buch streckenweise zu einer Biographie, freilich mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Krankheit.

Nicht allein die bekannte Romantikerin, auch ihre Familie, Achim von Arnim und die sieben gemeinsamen Kinder, kommen ausführlich zu Wort. Quellengrundlage sind vor allem die umfangreichen Briefwechsel. Viele Zitate machen den Text lebendig; paraphrasierend erklärt Dinges deren Bedeutung, hier und da über das Notwendige hinausgehend, gelegentlich mit interessanten Ausblicken auf heutige Vorstellungen.

Eindrucksvoll zeigt das Buch, in welch weitem Umfang Bettine und ihre Angehörigen sich in Fragen der Gesundheit, der Diagnose und Behandlung von Krankheiten kompetent fühlten – und das ohne jede formelle Ausbildung und mit allenfalls sporadischer Lektüre von Fachliteratur. Nicht allein die Frau, auch der Mann sah sich auf diesem Feld urteils- und handlungsfähig, wie überhaupt die Geschlechterrollen weniger klar polarisiert waren als oft für das 19. Jahrhundert angenommen: Bettine trat immer wieder mit „männlichen“ Eigenschaften auf, bis hin zum „Heroismus“.

Angewendet wurde das Gesundheitswissen an der eigenen Person, an Kindern, Gatten bzw. Gattin, aber auch an Dienstboten und den bäuerlichen Familien der eigenen Gutsherrschaft. Rat und Hilfe kamen außerdem Verwandten und Freunden zugute, gelegentlich allerdings über das gewünschte Maß hinaus. Erstaunlich scheint aus heutiger Sicht die Vielfalt der Mittel, Behandlungsmethoden und zugezogenen Experten: Die Palette der Heilmittel reicht von Champagner und Madeirawein (auch für Kinder) über Eselsmilch bis zu Chinin.

Konsultiert wurden Ärzte verschiedenster Richtungen ebenso wie umherziehende Laienheiler; auch der Rat erfahrener Bauersfrauen wurde nicht verschmäht. Soweit erkennbar, wurde zu Bettines Entbindungen ein ärztlicher Geburtshelfer hinzugezogen. Gleich bei der ersten – schwierigen – Geburt war der „Accoucheur“ so taktvoll, den Kindsvater in Anwesenheit der Gebärenden zu fragen, ob er die Mutter oder das Kind retten solle.

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Bettine stillte ihre Kinder, meist annähernd ein Jahr lang, und alle sieben überlebten. In der zweiten Hälfte ihres Lebens wurde sie zu einer entschiedenen Anhängerin der Homöopathie; mit missionarischem Eifer wirkte sie für diese Methode, wie Dinges kenntnisreich darlegt. Wie in der Zeit üblich, sahen die Arnims einen engen Zusammenhang zwischen psychisch-sozialer Situation und gesundheitlichem Befinden. Vorbeugen, gesunde Ernährung und Lebensweise hatten Vorrang vor der Therapie.

Als Witwe setzte Bettine sich persönlich und publizistisch gegen soziale Missstände und für eine bessere Gesundheitsversorgung der arbeitenden und armen Klassen ein. Sie appellierte an den König und veröffentlichte Sozialreportagen, die sie bei Konservativen in den Verdacht brachten, die Revolution von 1848 mit verursacht zu haben.

Insgesamt sieht Dinges Bettine von Arnim und ihre Angehörigen mit „selbstbewusstem Eklektizismus“ aus den verschiedensten Gesundheits- und Heilungsangeboten auswählen und gegen den Monopolanspruch der universitären Medizin einen „medizinischen Pluralismus“ befördern.

Rezension: Prof. D. Jürgen Schlumbohm

Martin Dinges
Bettine von Arnim und die Gesundheit
Medizin, Krankheit und Familie im 19. Jahrhundert
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018, 475 Seiten, € 34,–

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