Andererseits bringt das Buch ein Paradebeispiel für Selbsthilfe. Jamie Heywood versucht mit aller Kraft, zur Rettung seines Bruders eigens eine Gentherapie kreieren zu lassen. Der Maschinenbauer kündigt seinen Job, gründet eine Stiftung (die ALS Therapy Development Foundation), sammelt Gelder, studiert selbst die Grundlagen der Gentherapie und bezahlt die Forschung.
Jonathan Weiner nimmt die bewegende Geschichte zum Anlass, die Entwicklung der Gentherapie nachzuzeichnen. Sein Buch ist voller Exkursionen in alle Gebiete der Gen- und Zelltherapie. Es erzählt die Genese des Klonschafs Dolly und die des Zytoplasmatransfers. Es beleuchtet die ethischen Probleme der Gentherapie und ihren großen Skandal, den Todesfall Jesse Gelsinger.
Vor- und Nachteile hat die Präsenz des Autors in der Story. Weiners Mutter erkrankte fast zeitgleich mit Stephen Heywood an einem ebenso heimtückischen Hirnleiden, einer Demenz. Mitunter wirkt seine Schilderung des Mitleidens sehr banal. Dafür überzeugt das Buch durch seine Menschlichkeit. Weiner richtet seinen Blick darauf, was im heutigen Wissenschaftsbetrieb oft untergeht: Angesichts einer tödlichen Krankheit sind alle gleich. „Plötzlich ist man nur noch ein Mensch, der große Angst hat.“
Aus Heywoods Gentherapie wird nichts. Ende 2003 sitzt er im Rollstuhl und „spricht“ nur noch via Tastatur mit der Roboterstimme eines Computers. Dennoch ist der Kampf seines Bruders kein Fehlschlag. Wie Weiner eine Wissenschaftlerin sagen lässt: Die verzweifelte Suche nach neuen Therapien wird den Betroffenen kaum retten, am Ende aber werden alle etwas mehr über die Krankheit wissen.
Bernhard Epping