60 Jahre nachdem die britische Besatzungsmacht das Volkswagenwerk im Jahr 1949 an die Bundesregierung übergab, ist in der konzerneigenen Schriftenreihe „Historische Notate“ ein Überblickswerk über die vier britischen Jahre des Automobilherstellers nach Kriegsende erschienen.
Der Autor hat bereits ein Buch mit gleichem Betrachtungszeitraum zum 50. Jahrestag des Ereignisses vom 8. Oktober 1949 veröffentlicht („Das Werk der Briten“). Anlass für die grundlegende Überarbeitung zehn Jahre später sei die Auswertung des zwischenzeitlich besser erschlossenen Aktenbestands, so der Autor in der Einleitung.
Der Band setzt unmittelbar mit den Geschehnissen der letzten Kriegswirren 1945 ein. Nach der Besetzung des Werksgeländes und der Nachbarortschaft, dem späteren Wolfsburg, entwickelten sich die Grundzüge der britischen Treuhandverwaltung. Schon im August desselben Jahres trat Volkswagen mit der Produktion von 20.000 Limousinen für die britische Militärregierung in ein neues Zeitalter seiner Unternehmensgeschichte ein.
Lupa erzählt den weiteren Werdegang von Volkswagen unter britischer Hand in mehreren Phasen. Bis 1947 galt VW als einziger PKW-Produzent in Deutschland. Erst danach wurden auch andere Automobilhersteller von den Besatzungsmächten unterstützt, um die Serienproduktion von zivilen Fahrzeugen aufzunehmen. Damit sicherten die Briten dem VW-Konzern über lange Zeit einen großen Wettbewerbsvorteil im Nachkriegsdeutschland.
Nach der Etablierung eines Betriebsrats 1945 wurde das Mitbestimmungsrecht der Belegschaft weiter ausgebaut und prägt bis heute wesentlich das Gesicht des Konzerns. Aus dem ehemaligen Rüstungsbetrieb wurde nach der Umstellung auf zivile Nutzung nun ein immer mehr marktorientiertes Unternehmen. Im vierten und fünften Kapitel beschäftigt sich Lupa dann schließlich mit den Weichenstellungen für eine Zukunft des Konzerns ohne die Briten. Wichtiges Ereignis war dabei die Einsetzung Heinrich Nordhoffs als neuer Generaldirektor. Hierbei versucht Lupa allerdings, die Rolle Nordhoffs, der oftmals allein für den Aufstieg von Volkswagen verantwortlich gemacht wird, in den Kontext der Unternehmensgeschichte zu stellen. Während die britische Werksleitung immer mehr in den Hintergrund trat, folgten weitere wichtige Stationen wie beispielsweise Fusionspläne mit Ford, die Erweiterung der Modellpalette und die Etablierung des Unternehmens im Inland und in Europa, an deren Ende am 8. Oktober 1949 schließlich die erfolgreiche Übergabe in „deutsche Hände“ stand.
Der Band über die vier britischen Jahre von Volkswagen orientiert sich zum einen stark an den inneren Strukturen des Konzerns, zeigt gleichsam aber auch die Verbindungen zum jungen Nachkriegsdeutschland auf. Lupa präsentiert fundiertes Fachwissen, durch das sich der Band mit zahlreichen Fußnoten auch für wissenschaftliches Arbeiten eignet. Die dichte und anschauliche Beschreibung zeugt von unabhängigen Bewertungen. Lupas Fazit zieht sich wie ein roter Faden durch den Band: Die britische Werksleitung zeigte sich bereits seit 1945 als Glücksfall für das Unternehmen. 1949 konnte die Bundesregierung schließlich einen zivilen und marktwirtschaftlich orientierten Automobilhersteller auf der Pole-Position übernehmen.
Rezension: Philipp Meller
