Lew Besymenski beleuchtet aufgrund jetzt erstmals zugänglicher sowjetischer Quellen die deutsch-sowjetischen Beziehungen von der Vorgeschichte des Hitler-Stalin-Pakts bis zum deutschen Überfall 1941, vor allem für die sowjetische Seite. Zu seinen wichtigsten Ergebnissen gehört zweifellos der Nachweis, daß Stalin persönlich an der Anbahnung tragfähiger Beziehungen zum Dritten Reich schon von der „Machtergreifung“ an interessiert war (wie das vor vielen Jahren schon Robert C. Tucker behauptet hat) und entsprechende Schritte einiger Diplomaten (Kandelaki, Merekalow, Astachow) persönlich förderte. Besymenski bestätigt auch die vor allem von Ivan Pfaff vertretene These, daß die Sowjetunion 1938 entgegen öffentlicher Bekundungen nicht bereit war, einseitig zugunsten der Tschechoslowakei militärisch vorzugehen. Im Gegenteil habe Stalin das Münchner Abkommen 1938 um so mehr zum Anlaß genommen, zu einem Ausgleich mit Hitler-Deutschland zu kommen, weil er fürchtete, daß Briten und Deutsche sich auf Kosten der Sowjetunion auf eine neues „München“ einigen könnten. Insofern habe Stalin 1939 auch keine wirkliche Einigung mit Großbritannien und Frankreich angestrebt, sondern bereits seit 1938 auf die Einigung mit Deutschland gesetzt – nicht um Europa durch Hitler revolutionsreif machen zu lassen, wie Viktor Suworow meine, sondern um die Sowjetunion auf den für unvermeidlich gehaltenen Kampf mit Deutschland vorzubereiten – paradoxerweise in Zusammenarbeit mit Deutschland. Besymenski beschreibt weitgehend überzeugend, wie zielstrebig Stalin auf den Pakt mit Deutschland zusteuerte und wie lange er sich dann entgegen zahlloser Geheimdiensterkenntnisse der Illusion hingab, noch Zeit für die Vorbereitung auf den Krieg mit Deutschland zu haben. Gestützt auf diese Illusion Stalins verwirft Besymenski – vielleicht etwas schnell – die Thesen derjenigen, die meinen, Stalin habe den von Generalstabschef Schukow vorgeschlagenen Plan für einen Präventivschlag vom 15. Mai 1941 nicht rundheraus verworfen, sondern zumindest teilweise umsetzen lassen. Hier fehlen schlicht aussagefähige Quellen.
Rezension: Bonwetsch, Bernd