Als Tito am 8. Mai 1980 in Belgrad mit einem pompösen Staatsbegräbnis beigesetzt wurde, erschienen nicht weniger als 215 ausländische Delegationen in der jugoslawischen Hauptstadt, um dem offiziell als „größter Sohn aller jugoslawischen Völker“ bezeichneten Staatsführer die letzte Ehre zu erweisen. Unwahrscheinlich, dass sich dies seine slowenische Mutter oder sein kroatischer Vater hätten vorstellen können, als Josip Broz am 7. Mai 1892 als ihr siebtes Kind in einer armen Kleinbauernfamilie im Dorf Kumrovec nördlich von Zagreb zur Welt kam.
War Tito tatsächlich ein „sozialistischer Sonnenkönig“, der sowohl Hitler als auch Stalin besiegt hatte und in der Zeit des Kalten Kriegs dem Osten wie dem Westen mutig die Stirn bot? Der slowenische Historiker und Tito-Experte Jože Pirjevec zeichnet sehr detailreich, manchmal sogar detailverliebt, in seiner quellengesättigten Biographie auf knapp 600 Seiten (zuzüglich eines 100 Seiten starken Anhangs) chronologisch dessen schillernden Lebensweg nach. Zunächst ist es die Geschichte des „jungen Broz“ (Erster Weltkrieg, Kriegsgefangenschaft und Aufstieg in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens) in den Jahren von 1882 bis 1939. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Partisanenkampf (1939 –1945); darauf folgen die „Konsolidierung der Macht und Auseinandersetzung mit Stalin (1945 –1953)“, die „Präsidentenjahre – Entdeckung der Blockfreiheit, Suche nach einem Sozialismus mit ‚menschlichem Antlitz‘ und Kampf um die Einheit Jugoslawiens (1953 –1973)“, schließlich die „späten Jahre – Jugoslawien in der wirtschaftlichen und politischen Krise (1973 –1980)“. Am Ende stehen Titos Tod und sein politisches Vermächtnis. Pirjevec schildert, wie Tito als Kriegsgefangener in Russland die Oktoberrevolution und den sich anschließenden Bürgerkrieg erlebte. Broz wurde zum Bolschewiken, Revolutionär und Funktionär der verbotenen Kommunistischen Partei seiner Heimat, 1941 zum Partisanenführer gegen die Achsenmächte. Zu Kriegsende befehligte er die siegreiche „Volksbefreiungsarmee“ und sicherte sich die Anerkennung der Anti-Hitler-Koalition. Nach dem Krieg avancierte er zum immer prunkverliebteren Führer und Symbol des sozialistischen Jugoslawien, um den sich ein ausufernder Personenkult rankte.
Die breite Quellenbasis, auf die sich der Autor für seine Biographie Titos stützen kann, erlauben es ihm, ein differenziertes Bild zu entwerfen und zu ausgewogenen historischen Urteilen zu kommen. Dem an der Geschichte des sozialistischen Jugoslawien interessierten Leser bietet das Buch eine fundierte und stellenweise auch spannende Lektüre. Als Titos Stärken benennt der Autor dessen festes Beharren auf Unabhängigkeit und Blockfreiheit sowie seine Unersetzlichkeit als Integrationsgestalt für die sechs auseinanderstrebenden Nationen unter dem Dach Jugoslawiens. Dabei lässt sich der Autor nicht (jedenfalls nicht zu sehr) von Tito faszinieren. Auch die brutalen Repressionen gegen vermeintliche wie wirkliche Feinde und Gegner werden nicht ausgespart; allerdings vermisst man vielleicht doch an mancher Stelle das klarere Herausarbeiten der persönlichen Verantwortung Titos insbesondere für die „Abrechnung mit den Feinden des Volkes“ am Ende des Zweiten Weltkriegs, an der es nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand kaum Zweifel geben kann. Auch bleibt im Zusammenhang mit zahlreichen Morden an antijugoslawischen Emigranten im Ausland vieles ungeklärt.
Rezension: Prof. Dr. Aleksandar Jakir