Peter Merseburger hat in seiner Biographie über Willy Brandt ein eindringliches Lebensbild aus dem “Zeitalter der Extreme” gezeichnet. Als unehelich geborenes Proletarierkind durchschritt Brandt fünf Karrieren: Vom linkssozialistischen Redakteur und Emigranten der NS-Zeit zum Hoffnungsträger der Nachkriegssozialdemokratie und Regierenden Bürgermeister von Berlin, zum Bundeskanzler, Friedensnobelpreisträger und schließlich, als Präsident der Sozialistischen Internationale, bis zum elder Statesman und zur moralischen Instanz auf nationaler und internationaler Bühne. Über weite Strecken mag man die Biographie als Bildungsroman lesen, als Geschichte politischen Lernens, das Brandt vom Linkssozialisten zum skandinavisch-westlich geprägten Sozialdemokraten werden ließ. Als Kanzler der sozialliberalen Koalition nach 1969 trug er maßgeblich zur “Umgründung der Republik” (Manfred Görtemaker) bei. Sein Hauptanliegen, die Begriffe “Frieden” und “Deutschland” zusammenzuführen, erreichte Brandt durch seine Ostpolitik, die Merseburger mit Recht als sein größtes historisches Verdienst bewertet. Dem gegenüber steht das Scheitern vieler Reformprojekte und schließlich der unrühmliche Abgang 1974. Merseburger schildert ein Leben, in dem politische Visionen nur allzu oft auf heftigen Widerstand stießen, mochten sie existenziell bedrohend sein wie während der NS-Zeit, oder persönlich verletzend wie die Diffamierungen nach dem Kriege. Mit viel Sympathie für die Person, einem gleichwohl untrüglichen Blick für die Versäumnisse und Fehler Willy Brandts sowie großem Taktgefühl gegenüber Privatem hat Merseburger eine Biographie vorgelegt, die vorbildlich recherchiert und durchgehend glänzend, bisweilen packend geschrieben ist. Mit seinen souveränen, differenzierten und klugen Urteilen wird Merseburgers Buch auf absehbare Zeit die maßgebliche Biographie Willy Brandts bleiben.
Rezension: Metzler, Gabriele