„Warum so viele DDR-Bürger den Mauerbau widerstandslos hinnahmen“ – so lautet der programmatische Untertitel des Buchs von Robert Rauh, Jahrgang 1967, den diese Frage nach eigenem Bekunden „seit Jahrzehnten“ umtreibt. Für den Potsdamer Geschichtslehrer schien es lange unerklärlich, warum es in der DDR nach dem 13. August 1961 nicht zu Massenprotesten gekommen war. Zum 60. Jahrestag des Ereignisses präsentierte Rauh nun seine Antworten.
Er gliedert seine Studie in drei Abschnitte. Zunächst rekapituliert er die Reaktionen der Bevölkerung am Tag des Mauerbaus. Der zweite Abschnitt ist den Tagen und Wochen danach gewidmet und fokussiert auf die Arbeiterschaft, auf Jugend, Wissenschaftler und Künstler. Beide Kapitel stützen sich zum einen auf veröffentlichte Quellen, zum anderen spiegeln seine vier Tiefenbohrungen die Schwerpunktsetzungen der Forschung wider. Rauhs Umgang mit den Quellen und der Forschung ist merklich vom Versuch gekennzeichnet, die eigenen Hypothesen zu belegen. Dennoch lohnen beide Abschnitte die Lektüre.
Im dritten Teil arbeitet Rauh schließlich vier Reaktionsmuster auf den Mauerbau heraus, von denen drei in der bisherigen Forschung schon lange diskutiert werden. Danach habe erstens Wut und zugleich bei Protesten die Angst vor Repressionen geherrscht, zweitens gab es Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Grenzschließung sowie drittens durchaus auch die Hoffnung, dass der Aufbau des Sozialismus besser gelingen würde, wenn die Menschen durch die Mauer zum Bleiben gezwungen werden.
Als viertes Muster sieht Rauh „Gleichgültigkeit und Gewöhnung“, wobei hier der zeitliche Bezug nicht selten nebulös bleibt. Statt sich bei seiner Synthese vor allem auf die vielen Regalmeter Forschungsliteratur sowie die reichhaltige Quellenlage zu stützen, zaubert Rauh ein gutes Dutzend selbst geführte Interviews aus dem Hut, die seine Argumentation stützen. Vollends fragwürdig ist seine selbst initiierte Umfrage unter ostdeutschen Seniorenheimbewohnern, von der er selbst einräumt, dass sie „nicht allen wissenschaftlichen Kriterien entsprechen mag“. Trotzdem referiert er sie ausführlich. Die Kernbotschaft: 54 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: „Der Mauerbau im August 1961 war aus damaliger Sicht richtig.“
Rauh ist Historiker genug, um diese Zahl im Weiteren nicht mehr zu zitieren. Doch sie wirkt nach und verleiht dem Wörtchen „viele“, das der Autor in seinem Resümee inflationär nutzt, die wohl gewünschte Lesart. Danach musste sich die DDR-Bevölkerung nicht nur mit der Mauer arrangieren, sondern eine Mehrheit hat deren Errichtung für richtig und erforderlich gehalten.
Rauh stelle „die gängige Auffassung in Frage, der Mauerbau sei in der DDR auf breite Ablehnung gestoßen“, so heißt es vollmundig im Klappentext zum Buch. Wissenschaftlichen Evidenzkriterien hält sein Buch aber gleichwohl nicht stand. Es dürfte vor allem bei jenen Leserinnen und Lesern Beifall finden, die der untergegangenen DDR bis heute eher nachtrauern.
Rezension: Dr. Ulrich Mählert
Robert Rauh
„Die Mauer war doch richtig!“
Warum so viele DDR-Bürger den Mauerbau widerstandslos hinnahmen
be.bra Verlag, Berlin 2021, 208 Seiten, € 20,–