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Das Auto als zweite Haut

Technik|Digitales

Das Auto als zweite Haut
Europäische Forscher haben ausgelotet, wie weit sich der Spritverbrauch und der Schadstoffausstoß eines Stadtautos senken lassen, ohne die Sicherheit zu gefährden. Ergebnis: Ein dreirädriges Vehikel, das für zwei Insassen maßgeschneidert ist.

Behutsam lässt Ben Drew das kleine dreirädrige Gefährt vom Anhänger rollen, stellt es auf der Asphaltpiste des Colerne Airfields ab und schließt einige der zahlreichen Kabel am Fahrzeugprototypen an einen Computer an. Die Bordelektronik wird überprüft, die Steuerung des Vehikels neu programmiert – die letzten Vorbereitungen für den ersten Fahrtest von „Clever“ laufen. Rund ein Dutzend Forscher und Ingenieure aus England und Deutschland haben sich an diesem tristen und windigen Februartag auf dem Militärflugplatz im englischen Südwesten versammelt, um das Fahrverhalten des exotischen Gefährts auf einem eigens dafür abgesteckten Testparcours unter die Lupe zu nehmen. Besonders im Visier haben die Experten eine neuartige Neigetechnik, die Ben Drew und seine britischen Forscherkollegen am Institut für Maschinenbau der University of Bath für Clever entwickelt haben.

Clever ist die Abkürzung für das englische Wortungetüm „ Compact Low Emission Vehicle for Urban Transport“. Dahinter verbirgt sich ein von der Europäischen Union mit rund 2,2 Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt, an dem in den letzten drei Jahren mehrere Teams von Wissenschaftlern und Ingenieuren aus England, Österreich, Frankreich und Deutschland zusammengearbeitet haben. Ihr Ziel: „Ein kleines Fahrzeug speziell für den Stadtverkehr zu entwickeln, das so kompakt und leicht wie möglich ist, dabei sehr wenig Kraftstoff verbraucht und extrem wenig Kohlendioxid (CO2) ausstößt“, sagt Peter Krams, Forscher und technischer Koordinator für das Projekt Clever bei BMW in München. Der bayerische Automobilkonzern war als einziger Fahrzeughersteller an dem Projekt beteiligt, das Ende März mit der Präsentation eines kompletten Prototypen und der Übergabe eines mehrere Tausend Seiten starken Abschlussberichts an die Europäische Kommission in Brüssel seinen Abschluss fand.

Das Resultat, das die Forscher den Politikern der EU präsentierten, ist ein drei Meter langes, nur einen Meter breites und 1,40 Meter hohes Vehikel, das sich auf zwei Hinterrädern und einem Vorderrad fortbewegt und in dem zwei Passagiere Platz finden. Fahrer und Beifahrer sitzen, wie bei einem Tandemrad, dicht hintereinander. Für den Antrieb des Gefährts sorgt ein umgebauter Einzylinder-Motor des überdachten Motorrads C1 von BMW, der mit Erdgas betrieben wird – und der das dreirädrige Fahrzeug auf eine Geschwindigkeit von 100 Kilometer pro Stunde bringen kann.

Das Fahrzeug ist eine Mischung aus Automobil und Motorrad. Durch seine geringe Größe passt es selbst in enge Parklücken. Die geschlossene Karosserie aus einem mit glasfaserverstärktem Kunststoff verkleideten Aluminiumrahmen sorgt für Schutz vor Wind und Wetter – und: „Das Fahrzeug bietet den Insassen trotz seiner kleinen Abmessungen bei einem Unfall genauso viel Sicherheit wie ein herkömmlicher Kleinwagen“, betont Krams.

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„Die Crash-Sicherheit und die Anforderung, dass der Ausstoß an Kohlendioxid minimal sein sollte, waren die beiden größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Clever“, berichtet der BMW-Ingenieur. Durch die CO2-Emission von kaum mehr als 60 Gramm pro Kilometer belastet das Forschungsfahrzeug die Umwelt deutlich weniger mit dem klimaschädlichen Gas als selbst die derzeit sparsamsten und saubersten Serienfahrzeuge – beispielsweise der Smart Diesel, der rund 100 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt.

Um das zu erreichen, haben die Forscher die Maße und technischen Daten des Smart Diesel in etwa halbiert. So hat der Smart Diesel eine Motorleistung von 30 Kilowatt oder 42 PS – Clever hingegen kommt mit 12,5 Kilowatt (17 PS) und 16 Newtonmeter Drehmoment aus. Und während ein leerer Smart etwa 800 Kilogramm schwer ist, wiegt das Clever-Mobil lediglich 400 Kilogramm. Auch die Stirnfläche des Vehikels ist mit rund einem Quadratmeter nur etwa halb so groß wie die vom Smart.

„Wir sind bei der Entwicklung von Clever bis an die Grenzen dessen gegangen, was technisch heute machbar ist“, sagt BMW-Projektkoordinator Peter Krams. „Wir wollten dadurch ausloten, wo das Limit bei den Kohlendioxid-Emissionen und beim Spritverbrauch für dieses Fahrzeugkonzept liegt.“ Die Grenze beim Kraftstoffverbrauch fanden die Forscher gar nicht so weit von dem entfernt, was VW mit dem 3-Liter-Polo bereits verwirklicht hat: Pro 100 Kilometer schluckt das Erdgas-Aggregat von Clever – umgerechnet auf Benzin – rund 2,4 Liter.

Erreicht wurde das Limit bei Clever unter anderem durch das sehr geringe Gewicht des Fahrzeugs sowie durch einen extrem kleinen cwx-Wert. Dieser Wert gibt den beeinflussbaren Anteil am Luftwiderstand an und wird als Produkt aus der Stirnfläche und dem cw-Wert, dem Strömungswiderstand, berechnet. Mit knapp 0,48 liegt der cwx-Wert des Clever-Mobils über 20 Prozent unter dem der kleinsten herkömmlichen Autos. „Da ist kaum noch was zu machen, um diesen Wert weiter zu senken“, sagt Krams.

Die zwergenhaften Dimensionen des Forschungsvehikels bringen auch Probleme mit sich. Zum einen ist der Platz sehr bescheiden, der dem direkt hinter dem Fahrer sitzenden Sozius zur Verfügung steht: Er muss seine Beine mangels Freiraum zwischen den beiden Sitzen rechts und links neben dem Fahrersitz nach vorne strecken. Und es fällt schwer, das geforderte hohe Maß an Sicherheit für die Passagiere zu gewährleisten. Denn eine Knautschzone, die bei einem Unfall einen großen Teil der frei gesetzten Energie auffangen könnte, fehlt dem dreirädrigen Vehikel.

Clever gelöst haben die Entwickler dieses Problem durch einen sehr steifen, weitgehend unverformbaren Rahmen aus Aluminium, der bei einem Crash eine schützende Hülle um Fahrer und Beifahrer bildet. Zusätzlich enthält der Fahrzeugrahmen mehrere speziell entwickelte Querstreben, die bei einem Seitenaufprall einen großen Teil der Kräfte aufnehmen und über das Chassis ableiten. Bei einem Frontalaufprall werden die Füße des Fahrers durch die Zelle, in die das Fußhebelwerk nicht eindringt, und durch eine als Energieabsorber dienende Lagerung geschützt.

„Bei mehreren Crashtests in den Labors der Technischen Universität Berlin konnten wir zeigen, dass diese Schutzvorkehrungen gut funktionieren“, berich- tet Krams. So ließen Forscher um Projektleiter Heiko Johannsen vom Fachgebiet Kraftfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin das Clever-Mobil mit 64 Kilometern pro Stunde frontal gegen eine Wand krachen – und in einem Seitenaufpralltest rammten sie das Vehikel auf einen mit 50 Kilometer pro Stunde heranrollenden Metallkarren, der ein anderes Fahrzeug simulierte. „Die beiden Passagiere im Clever hätten den Zusammenstoß auf jeden Fall überlebt“, freut sich Krams. Die Fahrgastzelle war nach dem frontalen Zusammenprall kaum beschädigt, die vordere Radaufhängung hatte ihren Zweck als Energieabsorber erfüllt.

Wie viel Wert bei dem Forschungsprojekt auf das Thema Sicherheit gelegt wurde, zeigt die Tatsache, dass drei von insgesamt fünf Prototypen für Crashtests herhalten mussten. Dass das eigenwillig geformte Clever-Fahrzeug bei einem Unfall für einen Fußgänger keine größere Verletzungsgefahr bedeutet als ein herkömmliches Auto, konnten die Wissenschaftler an der TU Berlin mithilfe von Computersimulationen nachweisen.

Für die Sicherheit des Fahrers sorgt auch ein speziell geformter Airbag, der bei einem Unfall Kopf und Brust schützt. Und der Mitfahrer im Fond würde bei einem Zusammenstoß vom Fahrersitz aufgefangen, dessen Rückenlehne mit einem Energie verzehrenden Schaum belegt ist. „Um auch hinten einen Airbag anzubringen, ist nicht genug Platz“, sagt Krams.

„Etliche der Technologien im Clever steckten bereits in verschiedenen Forschungs- und Experimentalfahrzeugen von BMW, die allerdings nie in Serie gefertigt wurden“, berichtet der Münchner Forscher. Dazu gehört das Konzept für die Fahrerkabine mit den beiden hintereinander angeordneten Sitzen, die Aufhängung und Führung des einzelnen Vorderrads, das Interieur und – für Krams besonders wichtig – das äußere Erscheinungsbild des Gefährts. Doch es hat auch ein Extra zu bieten: Die beiden Tanks für das komprimierte Gas kann man nicht nur ganz normal an einer Erdgastankstelle füllen – sie lassen sich mit ein paar simplen Handgriffen auch vollständig abnehmen und durch volle Tanks ersetzen, eine Entwicklung der Illertissener Firma WEH. Das soll das Auftanken mit Erdgas erleichtern, das in Europa nur an ausgewählten Tankstellen angeboten wird.

Komplett neu ist die Neigetechnik, die die Fahrzeugingenieure an der University of Bath für Clever entwickelt haben. Sie sorgt dafür, dass sich das Gefährt in Kurven zur Seite neigt – und deshalb nicht umkippt. Die Insassen haben dadurch ein Fahrgefühl wie auf einem Motorrad. „Die beim schnellen Durchfahren einer engen Kurve wirkenden Fliehkräfte könnten sonst dazu führen, dass ein so leichtes und schmales Fahrzeug wie Clever umfällt“, sagt Peter Krams. „Das lässt sich verhindern, indem man den Schwerpunkt des Wagens durch Schrägstellen zur Kurvenmitte hin verlagert.“ Dafür sorgt eine aktive Steuerung, die die Fahrerkabine so zur Seite neigt, dass die Fliehkräfte stets ausgeglichen sind.

Dazu ist die Fahrerkabine samt dem Vorderrad über einen Haltebolzen beweglich auf dem so genannten Fahrschemel mit den beiden Hinterrädern angebracht. Zwei hydraulische Stellelemente kippen die Kabine bis zu 45 Grad nach links oder rechts. Wie stark die Neigung sein muss, berechnet die Bordelektronik aus Daten, die sie von mehreren Sensoren geliefert bekommt. Diese Messfühler registrieren während der Fahrt ständig Geschwindigkeit und Beschleunigungswerte sowie den eingeschlagenen Lenkwinkel. Ein Mikroprozessor wertet die Daten aus und steuert die Hydraulik entsprechend.

Auf dem Colerne Airfield, rund zehn Kilometer von der südwestenglischen Universitätsstadt Bath entfernt, konnten die Forscher die Funktionstüchtigkeit der Neigetechnik erstmals während der Fahrt überprüfen. Zunächst langsam und vorsichtig, dann allmählich immer schneller und waghalsiger drehten dort Ben Drew und andere Testfahrer einen Tag lang ihre Runden mit dem – noch unverkleideten – Clever-Prototypen. Und sie waren zufrieden mit dem Ergebnis: Zwar zeigte die Steuerung der Neigehydraulik noch ein paar Kinderkrankheiten, doch im Prinzip erfüllte sie ihre Aufgabe mit Bravour.

Auf den ersten Blick erinnert Clever an den Messerschmitt/Fend-Kabinenroller und die Isetta von BMW – dreirädrige Fahrzeug-Winzlinge, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren über die Straßen rollten. Die sparsamen und preisgünstigen Vehikel ermöglichten nach dem Zweiten Weltkrieg auch allen, die sich keinen größeren Wagen leisten konnten, die gewünschte Mobilität. Sicherheit konnten die einfach konstruierten motorisierten Dreiräder ihren Insassen allerdings kaum bieten.

Mit der steigenden Wirtschaftskraft und dem wachsenden Wohlstand der Menschen verschwanden sie in den Siebzigerjahren allmählich von den Straßen. In den letzten Jahren sorgten manche Hersteller mit neu entwickelten dreirädrigen Mobilen wieder für Schlagzeilen – zum Beispiel Volkswagen mit dem im Januar auf der Autoausstellung in Los Angeles präsentierten Konzeptfahrzeug GX3 und die Firma Vandenbrink mit dem Carver, den es seit ein paar Monaten zum Preis von rund 30 000 Euro zu kaufen gibt.

Während die Entwickler bei diesen dreirädrigen Sportflitzern ausschließlich den Spaß und das außergewöhnliche Fahrerlebnis für den Fahrer im Auge hatten, ging es bei dem Forschungsprojekt Clever vor allem um Sparsamkeit und Umweltfreundlichkeit. „Das Fahrzeugkonzept für zwei Personen bietet die Chance, Emissionen in Ballungsräumen weiter zu verringern“, sagt Peter Krams.

Um bis zu 12 Prozent ließe sich der Ausstoß an CO2 durch den städtischen Straßenverkehr senken, wenn die cleveren Dreiräder bei etwa einem Zehntel aller Fahrten genutzt würden, so das Ergebnis einer Studie, die im Rahmen des Clever-Projekts im österreichischen Graz und im griechischen Thessaloniki erstellt wurde. Bei der Studie befragten die Wissenschaftler Auto-, Bus- und Bahnfahrer zu ihrem Mobilitätsverhalten und ihren Ansprüchen an ihr Verkehrsmittel. Der Kraftstoffverbrauch ließe sich sogar um bis zu 17 Prozent verringern. Auf 2 bis 13 Prozent aller innerstädtischen Straßen, schätzen die Forscher, würden ultrakleine Fahrzeuge à la Clever deutliche Vorteile bringen. Vor allem dort, wo beengte Verhältnisse, ein sehr dichter Autoverkehr und zugleich ein unattraktives Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln die Mobilität behindern, könnten die Winzlinge die Umwelt entlasten und zugleich den Verkehrsfluss beschleunigen.

Die Chancen, dass es das Clever-Vehikel einmal zu kaufen geben wird, stehen gar nicht so schlecht, wenn „momentan dafür auch kaum ein Markt existiert, der sich betriebswirtschaftlich lohnt“, wie Peter Krams sagt. Würde Clever mit den heute verfügbaren Produktionstechnologien und Materialien gefertigt, wäre für ihn ein Preis von mindestens 10 000 Euro beim Händler anzusetzen – nach Einschätzung von BMW zuviel für ein Fahrzeug zur Mobilität in der Stadt mit „nur“ zwei Sitzen und fast ohne Stauraum für Gepäck.

Daher werden die Konstruktionspläne und die neuartigen Technologien, die Ben Drew und seine europäischen Forscherkollegen während der letzten drei Jahre entworfen und entwickelt haben, erst einmal auf Eis gelegt.

Doch die Produktionstechnologien werden ständig verbessert. Und: Steigende Kraftstoffpreise, immer längere Staus sowie schärfere Umweltschutzauflagen werden den Druck auf Autofahrer und Automobilhersteller weiter wachsen lassen. Gut denkbar also, dass das sichere Superspar-Vehikel schon in ein paar Jahren in Serie gehen wird. ■

Ralf Butscher

COMMUNITY Fernsehen

Die EU will den CO2-Ausstoß deutlich senken. Eine Möglichkeit dazu bieten extrem leichte und sparsame Fahrzeuge wie der „Clever“ . Ein Film, den das TV-Wissensmagazin „nano“ zusammen mit bdw produziert hat, schildert die Entwicklung des exotischen Vehikels. Die Erstausstrahlung ist in 3Sat am Donnerstag, den 27. April, um 18.30 Uhr. Wo danach Wiederholungen laufen, erfahren Sie unter: www.3sat.de/nano

Internet

Homepage des Forschungsprojekts CLEVER:

www.clever-project.net

Ohne Titel

• Der „Clever“ ist halb so schwer wie ein Smart und stößt viel weniger CO2 aus.

• Der Verbrauch des Erdgasmotors entspricht 2,4 Liter Benzin pro 100 Kilometer.

• Eine neu entwickelte Neigetechnik bewahrt das Mini-Mobil vor dem Umkippen.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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