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Die CO2-Bestatter kommen

Technik|Digitales

Die CO2-Bestatter kommen
In einem Jahrzehnt sollen die ersten Kohlegroßkraftwerke ans Netz gehen, die so gut wie kein Kohlendioxid in die Luft blasen. Techniker wollen das Treibhausgas in der Erde verstauen.

Man könnte es eine Ironie des Treibhauseffekts nennen. Die ganze Welt will Kohlendioxid so schnell wie möglich loswerden – das Gas, das unter anderem beim Verbrennen von Kohle, Öl oder Erdgas entsteht und für den größten Teil der erwarteten Klimaerwärmung auf der Erde verantwortlich gemacht wird. Günter Borm erforscht, wie das gehen könnte – doch er hat unerwartet viel Mühe, für seine Arbeit größere Mengen des Treibhausgases zu bekommen. „Kein Kraftwerk konnte uns welches liefern“, sagt der Wissenschaftler vom Geoforschungszentrum Potsdam.

Borms Team von Geologen untersucht seit einigen Monaten nahe der brandenburgischen Kleinstadt Ketzin, rund 25 Kilometer westlich von Berlin, ob sich Kohlendioxid in Gesteinsschichten fast einen Kilometer tief unter der Erdoberfläche deponieren lässt – als Test, ob man so das Treibhausgas aus Kohlekraftwerken entsorgen kann. An dem Projekt namens CO2-Sink beteiligen sich Forscher aus acht europäischen Ländern. Die EU för- dert es mit rund neun Millionen Euro. Die Experimente in Ketzin sind zudem Teil eines Programms des Bundeswirtschaftsministeriums, das sich damit befasst, wie sich der Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre reduzieren lässt.

Für ihren Beitrag zu diesem Programm werden die Potsdamer Forscher mangels Alternativen nun Kohlendioxid in die Tiefe pumpen, das produziert wurde, um Limonade aufsprudeln zu lassen. 60 000 Tonnen pressen sie in so genannte saline Aquifere – poröse unterirdische Schichten aus Sandstein, in denen salzhaltiges Wasser gespeichert ist. „Das Wasser in den Aquiferen wird dadurch weggedrückt und fließt vielleicht in die Ostsee“, sagt Borm. Die Menge, die sein Team in die Tiefe pumpen wird, bläst ein Kraftwerk in zwei Tagen in die Luft. Was für das Kraftwerk ein Klacks ist, würde reichen, um die gesamte Limonade mit Kohlensäure zu versetzen, die die Deutschen in vier Jahren trinken.

Tanklaster liefern das flüssige Kohlendioxid in Ketzin an. Dort steht auf dem Gelände eines einstigen Gasversorgers eine Pumpstation, die das Kohlendioxid Ladung für Ladung in die Tiefe presst. Nach etwa 3000 Fuhren ist diese Phase vorbei. Rund zwei Jahre soll das dauern, bis Ende 2008.

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Logistisch ist das nicht ohne, doch für die Forscher wird es erst danach richtig spannend. Zunächst werden sie drei Jahre lang beobachten, wie sich das CO2 in den Aquiferen in rund 800 Meter Tiefe verhält: wohin es wandert, ob es sich mit den Salzen im Wasser chemisch verbindet – und vor allem, ob es allmählich wieder aus dem Gestein herauskriecht. Das sind Fragen, denen die Wissenschaftler unter dem Städtchen im Havelland auf den Grund gehen wollen. Bis an die Oberfläche sollte das Kohlendioxid allerdings nicht gelangen: Die Formation, in die das klimawirksame Gas eingepresst wird, liegt unter einem ehemaligen Gasspeicher, der jahrzehntelang mit Erdgas gefüllt war und dicht gehalten hat.

„Wir hoffen, dass unsere Untersuchungen eine Möglichkeit eröffnen, den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren“, sagt Borm. Auf diese Möglichkeit setzen auch Betreiber von Kohlekraftwerken. Sie wetteifern derzeit um die beste Technik, Kohlendioxid abzufangen, ehe es durch den Schornstein entweicht. Fast die Hälfte des hierzulande verbrauchten Stroms stammt aus Kohlekraftwerken. Nach Angaben des Verbands der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) hatte 2005 die Braunkohle einen Anteil von 25 Prozent an der Gewinnung von elektrischer Energie, Steinkohle einen von 22 Prozent. Weltweit liegt der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung laut der Internationalen Energieagentur (IEA) bei knapp 40 Prozent – zufällig ebenso hoch ist der Beitrag der Verbrennung von Kohle zu den rund 27 Milliarden Tonnen CO2, die zurzeit jährlich weltweit emittiert werden. Doch damit nicht genug: In den nächsten Jahrzehnten wird der Bedarf an Elektrizität aus fossil befeuerten Kraftwerken kräftig steigen. Das rasante wirtschaftliche Wachstum in den asiatischen Ländern ist dabei der wichtigste Motor.

Eine Chance für den breiten technologischen Einstieg in die CO2-freie Verbrennungstechnologie bietet sich durch eine glückliche Fügung: In Deutschland, Frankreich, Japan und den USA erreichen viele Kohlekraftwerke ein Alter, ab dem sie unwirtschaftlich werden. Sie sollen deshalb durch Anlagen ersetzt werden, die mit dem neuesten Stand der Technik ausgerüstet sind. Allein Deutschland benötigt bis 2020 rund 40 000 Megawatt neue Kraftwerkskapazität – das entspricht etwa 40 großen Kern- oder Kohlekraftwerksblöcken.

Doch kohlendioxidfreie fossile Kraftwerke zu bauen, ist teuer. Nach einer Studie des US-Energieministeriums verdoppeln sich die Investitionskosten gegenüber einem heute üblichen Kraftwerk nahezu. Auch die Betriebskosten treibt die so genannte Sequestrierung (von englisch „sequestration“: „Absonderung, Ausschluss“) des Treibhausgases in die Höhe. Der Löwenanteil der Mehrkosten entsteht dabei durch die Abtrennung: Umgerechnet 30 bis 40 Euro fallen pro Tonne CO2 an. Für den Pipeline-Abtransport des Kohlendioxids an den Speicherort kommen je nach Entfernung 6 bis 15 Euro pro Tonne hinzu. Und die unterirdische Speicherung schlägt nochmals mit 10 bis 25 Euro pro Tonne zu Buche – macht zusammen 46 bis 80 Euro.

Bezogen auf die Stromerzeugung von einer Kilowattstunde würden sich dadurch die Kosten um umgerechnet 1,5 bis 6 Cent erhöhen, hat die US-Behörde errechnet. Ingenieure des europäischen Energieversorgers Vattenfall wollen diese gepfefferte Rechnung nicht akzeptieren und die Kosten für Abscheidung und Deponierung des Kohlendioxids in den nächsten 15 Jahren auf etwa 20 Euro pro Tonne CO2 senken. Dadurch könnte die CO2-freie Kohleverstromung wettbewerbsfähig werden. Seit Anfang 2005 ist es für Industrieunternehmen und Kraftwerksbetreiber nämlich teuer, Kohlendioxid in die Luft zu blasen: Um CO2 emittieren zu dürfen, brauchen sie Rechte – so genannte Zertifikate. Ein Emissionszertifikat für eine Tonne CO2 wird derzeit für rund 25 Euro gehandelt. Einige Experten erwarten, dass sich dieser Preis noch erhöht. „Wir hoffen, dass es in ein paar Jahren preiswerter sein wird, Kohlendioxid abzuscheiden und unterirdisch zu speichern, als es in die Atmosphäre auszustoßen“, sagt Markus Sauthoff. Der Ingenieur leitet bei Vattenfall den Bau eines Pilotkraftwerks im brandenburgischen Spremberg, wo das Unternehmen das moderne Großkraftwerk „Schwarze Pumpe“ betreibt.

Den ersten Spatenstich für die bislang einzigartige Anlage setzten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck Ende Mai 2006. In Spremberg wollen Sauthoff und seine Mitarbeiter ab 2008 die Technologien erproben, um Kohlendioxid aus den Abgasen zu waschen. Die Forscher wollen das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten eines CO2-freien Kraftwerks testen, den erreichbaren Grad an Abscheidung des Treibhausgases untersuchen und die Übertragbarkeit der technischen Auslegung des mit einer Leistung von 30 Megawatt kleinen Pilotkraftwerks auf eine größere Anlage prüfen. Bei dem Pilotkraftwerk, das sich Vattenfall immerhin 40 Millionen Euro kosten lässt, setzt der Stromgigant auf eine Technologie zur Abtrennung des Kohlendioxids, die Ingenieure Oxyfuel nennen. „Wir werden die Kohle in einem Gemisch aus Luft und Kohlendioxid verbrennen“, erklärt Sauthoff. Dazu bedienen sich er und sein Team erst einmal der Kältetechnik: Eine Kälteanlage zur Luftzerlegung trennt Sauerstoff aus verflüssigter Luft ab.

Der Sauerstoff wird anschließend mit Kohlendioxid aus den Verbrennungsgasen vermischt und in den Kessel geblasen. Der Grund für die Vermischung: „Mit reinem Sauerstoff verbrennt Kohle bei über 1000 Grad Celsius“, erklärt Sauthoff. „Bei dieser Temperatur würden die stählernen Öfen schmelzen.“

Bei der folgenden Behandlung wird der Abgasstrom entstaubt, entschwefelt und der Wasserdampf kondensiert. Übrig bleibt ein Rauchgas, das zu 98 Prozent aus Kohlendioxid besteht. Das hochreine CO2 wird abgeschieden, verflüssigt und für den Transport verdichtet. Diese Methode hat gegenüber dem Auswaschen des Kohlendioxids aus dem Abgasstrom eines konventionellen Kraftwerks einen entscheidenden Vorteil: Eine technisch aufwendige Anlage, um die rund 20 Prozent Kohlendioxid von den übrigen Abgasbestandteilen zu trennen, ist nicht erforderlich.

Dadurch braucht ein Kraftwerk mit Oxyfuel-Technologie auch weniger Energie für das Abscheiden des Kohlendioxids. „Mit der Oxyfuel-Technologie sinkt der Wirkungsgrad nur um 9 Prozentpunkte anstatt um 14″, sagt Sauthoff. Konkurrenzfähig ist ein solches Kraftwerk heute freilich dennoch nicht. Deshalb versuchen die Vattenfall-Techniker alles, um den Wirkungsgrad weiter zu steigern.

Unter Wirkungungsgrad versteht man den prozentualen Anteil der durch ein Kraftwerk erzeugten nutzbaren Energie im Vergleich zur dafür aufgewandten Energie. Moderne Braunkohlekraftwerke wie die Anlage Schwarze Pumpe kommen derzeit auf einen Wirkungsgrad von 43 Prozent, Steinkohlekraftwerke schaffen sogar 48 Prozent. Bis 2020 hält Sauthoff bei Braunkohlekraftwerken einen Wirkungsgrad von mehr als 50 Prozent für möglich – durch Vortrocknen der Kohle und den Einsatz von Material, das höhere Dampftemperaturen aushält.

„In 15 Jahren werden wir auch ein kommerziell einsetzbares Oxyfuel-Kraftwerk fertig entwickelt haben. Unter dem Strich wird das so effizient arbeiten wie ein modernes Kohlekraftwerk heute“, sagt Sauthoff. Vor dem Bau dieses Kraftwerks mit rund 1000 Megawatt Leistung will Vattenfall ein Demokraftwerk mit einer Leistung von 250 bis 600 Megawatt errichten. Das könnte um das Jahr 2015 in Betrieb gehen. Dabei soll der Einsatz einer neuen Technik zur Sauerstoffgewinnung aus Luft getestet werden: mithilfe von Keramikmembranen, die die Kosten für die Luftzerlegung gegenüber der bislang gebräuchlichen Kältemethode deutlich reduzieren könnten.

Auf knapp 60 Prozent Wirkungsgrad kommen schon jetzt Kraftwerke, bei denen sich Gas- und Dampfturbinen ergänzen: Kraftwerkstechniker nennen solche Anlagen schlicht GuD. Die heißen Abgase einer Gasturbine, die mit einem stromerzeugenden Generator gekoppelt ist, treiben in einer zweiten Stufe eine Dampfturbine an. Sie arbeitet bei geringeren Temperaturen und erzeugt über einen Generator weiteren Strom.

Allerdings muss eine Gasturbine mit einem flüchtigen Brennstoff – meist Erdgas – gefüttert werden. Wie sich aus einem GuD-Kraftwerk Kohlendioxid separieren lässt, will bp (früher: „ British Petrol“, jetzt „beyond petrol“) ab dem Jahr 2009 im schottischen Peterhead testen. Dort soll ein GuD-Kraftwerk errichtet werden, von dem aus das Kohlendioxid direkt in ein ausgebeutetes Ölfeld vor der Küste gepresst wird. Ähnliche Absichten hat der deutsche Energiekonzern E.ON. Er plant, ein Gaskraftwerk im britischen Lincolnshire so umzubauen, dass das Kohlendioxid in der Anlage abgefangen und ebenfalls in ein leeres Nordsee-Ölfeld gepumpt wird. Die Anlage, die 2011 ans Netz gehen könnte, soll 450 Megawatt leisten.

Bernd Meyer, Energieverfahrenstechniker an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg setzt dagegen voll auf Kohle und ein Konzept, das unter IGCC firmiert. IGCC steht für Integrated Gasification Combined Cycle (Integrierter kombinierter Vergasungszyklus). Dabei erzeugt ein Vergaser in mehreren Schritten aus Kohle, Sauerstoff und Wasser erst Wasserstoff und Kohlendioxid. Der Wasserstoff wird verbrannt und liefert die Energie für den Antrieb einer Gas- und einer Dampfturbine. Besonderen Charme hat die Technologie nach Ansicht von Meyer, weil sich das Kohlendioxid damit ausgezeichnet abtrennen lasse. „ Das Gas wird von Anfang an stark komprimiert“, nennt Meyer den entscheidenden Pluspunkt.

Auch in den USA versuchen Energieversorger, IGCC-Kraftwerken zur Marktreife zu verhelfen. Vor allem die Aussicht auf einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad, der gegenwärtig mit etwa 40 Prozentpunkten nur wenig unter dem eines vergleichbaren Kraftwerks ohne CO2-Abscheidung liegt, spornt die Amerikaner an. Zusammen mit europäischen Kollegen analysieren sie derzeit, warum sich die IGCC-Kraftwerke bisher dennoch nicht etablieren konnten. „Das größte Problem ist die eingeschränkte Verfügbarkeit“, sagt Bernd Meyer: Die Anlagen sind reparaturanfällig. Rentabel würden sie, wenn ihre Generatoren in 90 Prozent der Zeit Strom produzieren würden, so Meyer. Tatsächlich haben sie eine Verfügbarkeit von 80 Prozent.

Vor allem der Vergaser sorgt immer wieder für Ausfälle. Einige Schwierigkeiten haben Techniker in den Griff bekommen. Doch Meyer und seine Mitarbeiter wollen das komplette IGCC-Prinzip weiterentwickeln. Denn das Verfahren, das sich gerade für große Kraftwerke eignen würde, verwertet den Energieinhalt der Kohle nur unzureichend. Fünf Prozent des Brennstoffs bleiben ungenutzt in der Schlacke zurück.

Um das zu ändern, haben die Freiberger Wissenschaftler ein Konzept entwickelt, den darin enthaltenen Wasserstoff zu isolieren. So lässt sich der Wirkungsgrad entscheidend steigern. Mehr als 50 Prozent hält Meyer für möglich. Allein durch diesen hohen Wirkungsgrad würde ein IGCC-Kraftwerk ein Fünftel weniger Kohlendioxid aussstoßen als ein herkömmliches Kohlekraftwerk, nämlich etwa 800 Kilogramm statt einer Tonne pro Megawattstunde produziertem Strom. Andererseits ist das immer noch doppelt so viel, wie ein mit Erdgas betriebenes GuD-Kraftwerk in die Luft bläst. Ungeachtet dessen setzt der Energiekonzern RWE voll auf die IGCC-Technologie. Das Unternehmen will eine Milliarde Euro investieren, um das weltweit erste Kohlegroßkraftwerk zu bauen, das auf diesem Verfahren der CO2-Abscheidung basiert. Wo es errichtet werden soll, ist noch offen – nicht aber das Jahr seiner Inbetriebnahme: 2014.

Aquifere wie in Ketzin eignen sich aller Voraussicht nach besser als ausgebeutete Öl- und Gasfelder für die Endlagerung des Kohlendioxids. Ausgebeutete Kohlenwasserstoff-Lagerstätten liegen nicht selten unter Meeren, sind mithin Tausende Kilometer von den Kraftwerksstandorten der Industrieländer entfernt. Die festländischen Aquifere bieten zudem vermutlich zehnmal so viel Platz für Kohlendioxid wie erschöpfte Öl- und Erdgasfelder. Andererseits haben sie den Vorteil, dass ihr geologischer Aufbau sehr gut untersucht ist. Zudem haben die fossilen Lagerstätten über Millionen von Jahren bewiesen, dass sie dicht halten.

„Wie sich Kohlendioxid in Aquiferen verhält, hat bislang kaum jemand untersucht“, sagt Günter Borm vom Geoforschungszentrum. Die einzigen Erkenntnisse dazu wurden in der Nordsee gewonnen: Etwa auf halbem Weg zwischen der Nordspitze Schottlands und dem Südzipfel Norwegens leitet der norwegische Ölkonzern Statoil seit zehn Jahren Kohlendioxid in die wassergefüllten Poren des Sandsteins 800 Meter unterhalb des Meeresbodens. Täglich trennt das Unternehmen 3000 Tonnen des Gases vom übrigen Erdgas ab, das es aus dem Sleipner-Gasfeld gewinnt. Geologen verfolgen dabei unter anderem mit Methoden, die sie aus der Erdbebenforschung kennen, wie sich das Gas verhält. Ihre Ergebnisse deuten hier wie auch in anderen Speicherprojekten darauf hin, dass mehr als 99 Prozent des Gases 1000 Jahre und länger im Untergrund bleiben. Nach dieser Zeitspanne hätten physikalische und chemische Prozesse das Kohlendioxid so gebunden, dass es den Untergrund nicht mehr verlassen kann, besagt ein im Herbst 2005 erschienener Bericht der UN-Klimaschutzorganisation International Panel on Climate Change (IPCC).

Eine gemeinsame Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe, und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, sieht in der Abtrennung und unterirdischen Lagerung eine „interessante Brückentechnologie, um die Emissionen des Treibhausgases in den nächsten 20 bis 50 Jahren deutlich zu reduzieren“. Danach jedoch sollte man sich nach Ansicht der Forscher auf die Nutzung der – dann voraussichtlich deutlich kostengünstiger als heute und in ausreichendem Maß verfügbaren – regenerativen Energiequellen konzentrieren. Denn wegen des deutlich höheren Verbrauchs an Kohle oder Erdgas seien Kraftwerke mit Kohlendioxid-Abscheidung auf lange Sicht kein Fortschritt in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung.

Günter Borm sieht das anders. Er traut Wind und Sonne auf absehbare Zeit nicht zu, die Kohle zu verdrängen: „Man sollte aufhören, Kohle und regenerative Energieträger gegeneinander auszuspielen.“ Und er nennt noch einen Grund, mit Nachdruck daran zu arbeiten, Kohlekraftwerke vom Kohlendioxid zu befreien: „Wer diese Technik als Erster beherrscht, hat mit Sicherheit einen Exportschlager.“ ■

Peter Hergersberg ist Wissenschaftsjournalist in München. In bdw schreibt er immer wieder über Themen aus Physik und Technik.

Peter Hergersberg

Ohne Titel

Nach der Verbrennung

Bei diesem Verfahren wird das Kohlendioxid nach der Verbrennung der Kohle aus dem Rauchgas abgeschieden. Dazu leitet man das Rauchgas durch ein Lösungsmittel, in dem das CO2 chemisch gebunden wird. Um es wieder aus der Lösung zu entfernen, muss diese erhitzt werden. Das aufwendige Auswaschen des Kohlendioxids verbraucht Energie und verringert dadurch den Wirkungsgrad des Kraftwerks um 10 bis 14 Prozentpunkte. Die Kosten der Abscheidung betragen mit der heutigen Technologie rund 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2.

während der Verbrennung

Beim so genannten Oxyfuel-Verfahren wird das CO2 während der Verbrennung separiert. Dazu verbrennt man die Kohle statt mit Luft mit reinem Sauerstoff, der zunächst durch eine Lufttrennungsanlage gewonnen werden muss (siehe auch Grafik auf der übernächsten Seite). Der Sauerstoff wird mit Kohlendioxid aus dem Abgasstrom angereichert, damit der stählerne Dampfkessel nicht schmilzt. Der Wirkungsgrad eines Kohlekraftwerks mit Oxyfuel-Technologie liegt um 5 bis 12 Prozentpunkte unter dem eines konventionellen Kraftwerks. Die zusätzlichen Betriebskosten liegen bei 25 bis 35 Euro pro Tonne abgeschiedenem Kohlendioxid.

vor der Verbrennung

Bei der IGCC-Technologie, der integrierten kombinierten Vergasung, wird die Kohle zunächst vergast. Danach mischt man die gasförmige Kohle mit Sauerstoff und Wasserdampf zu einem Synthesegas, aus dem sich das CO2 abtrennen und entfernen lässt. Im Synthesegas entsteht Wasserstoff, der als Brennstoff dient und Gas- und Dampfturbinen antreibt. Die Einbuße an Wirkungsgrad durch diese Variante der CO2-Abscheidung beträgt 6 bis 10 Prozentpunkte, die Mehrkosten belaufen sich auf 25 bis 35 Euro pro Tonne.

Ohne Titel

ein verfahren namens oxyfuel soll dem Rauchgas von Kohlekraftwerken Kohlendioxid entziehen und es anschließend auf 98 Prozent aufkonzentrieren. Dazu wird (Verfahrensprozess von links nach rechts) Luft so tief abgekühlt, bis sich reiner Sauerstoff abtrennen lässt. Er verbrennt im Kessel die Kohle. Als Abgas entsteht hochkonzentriertes CO2, das nach der Entstaubung und Entschwefelung verflüssigt und in Tankzügen oder per Pipeline abtransportiert werden kann.

Ohne Titel

sprunghaft gestiegen ist die Zahl der Projekte, um das in Kraftwerken anfallende Kohlendioxid so aufzubereiten, dass es unter Tage „entsorgt“ werden kann. Das größte Potenzial sehen Experten in salzwasserhaltigen porösen Sandsteinschichten

– salinen Aquiferen –, die durch spezielle Gesteinsformationen nach oben abgedichtet sind. Eine andere Möglichkeit ist das Einpressen in ausgebeutete Öl- und Gaslagerstätten. Auch sie halten offenbar über Jahrmillionen dicht.

COMMUNITY INternet

Studie von Fraunhofer-ISI und BGR zu Kraftwerken ohne Treibhausgase:

www.isi.fraunhofer.de/pr/2006de/pri11/pri11.htm

World Energy Statistics von der IEA:

www.iea.org/Textbase/publications/free_new_Desc.asp?PUBS_ID=1199

Infos von Vattenfall zum CO2-freien

Kohlekraftwerk:

www.vattenfall.de/www/vf/vf_de/225583xberx/228227umwel/ 228407klima/

Special von RWE zum kohlendioxidfreien Großkraftwerk: www.rwe.com/generator.aspx/ templateId=renderPage/id=76858?pmid=4001047

Diskussionspapier von Germanwatch

zu „CO2-Abscheidung und -Lagerung als Beitrag zum Klimaschutz“ :

www.germanwatch.org

Ohne Titel

• Das in einem Kraftwerk entstehende Kohlendioxid lässt sich vom übrigen Rauchgas abtrennen.

• Als Speicherraum kommen ausgebeutete Öl- und Erdgasfelder sowie spezielle Schichten im Untergrund in Frage.

• Durch technische Verbesserungen und die gegenwärtige Umweltpolitik werden kohlendioxidfreie fossile Kraftwerke wirtschaftlicher.

• Forscher sehen deshalb gute Chancen, um die Emission des Treibhausgases deutlich zurückzufahren.

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