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Die Diener der dritten Generation

Technik|Digitales

Die Diener der dritten Generation
Roboter sollen älteren Menschen unter die Arme greifen, damit sie länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Geschirr tragen und Tabletten reichen können einige Modelle schon. Andere elektronische Kameraden ziehen bereits als Gedächtnistrainer durch deutsche Altenheime. Doch ob die Automaten tatsächlich in der Pflege willkommen sind, darüber scheiden sich die Geister.

Die Lesebrille, die Zeitung und eine Tasse Kaffee mit Zucker“, ruft die 83-Jährige. Alleine kann sie sich nur mühsam durch die Wohnung schleppen. Auf ihren Befehl hin quietscht es in der Ecke des Zimmers. Roboter „Rhoni“ wankt in die Küche. Zehn Minuten später geben seine Metallfinger Lesebrille, Kaffee und Zeitung frei.

Das ist die Zukunft, wie sie sich Hans-Jürgen Buxbaum gerne vorstellt. Nicht in zehn, aber vielleicht doch in zwanzig, dreißig Jahren. Der Ingenieur an der Hochschule Niederrhein in Krefeld programmiert den Prototyp des Pflegeroboters Rhoni. Er schaut aus kugelrunden Sensoraugen und grinst aus breitem Mundschlitz im blechernen Unterkiefer. Der mannsgroße Geselle aus Edelstahl und Elektronik erinnert an den tollpatschigen Roboter C-3PO aus den Starwars-Filmen. Seine Bestimmung ist freilich eine andere.

Eines Tages soll Rhoni „älteren Menschen dienen, damit sie länger im Wohnumfeld verbleiben können. Auch, um eine bevorstehende Krise in der Pflege zu bewältigen“, erklärt Buxbaum. Tausende Rhonis könnten kraftvoll zupacken. Vielleicht die Bluse der betagten Dame zuknöpfen und ihr täglich die Tabletten reichen. Der Diener der dritten Generation könnte die Mikrowelle, das Fernsehgerät und den Herd bedienen und an den Termin mit dem Hausarzt erinnern. „Einfache Verrichtungen, die Pfleger heute noch machen, werden Roboter übernehmen. Das wird so kommen“, ist sich Buxbaum ganz sicher. Beispielsweise kann der Care-o-bot des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts bereits Geschirr tragen und als intelligente Gehstütze herhalten.

Auch im technikfreudigen Japan werden derzeit ungezählte elektronische Pflegeroboter gebaut. Nicht nur als zupackende Helfer, sondern auch als Gedächtnistrainer. So werden mehr als tausend Roboterrobben in der Therapie von Demenzkranken eingesetzt. Die weißen Felltiermaschinen sollen den Geist anregen. Beim Streicheln stoßen sie zufriedene Laute aus, bewegen sich und rollen die kullerrunden Augen. Im Christinenstift in Baden-Baden schätzt man das Tier ebenfalls in der Demenztherapie.

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Es ist kein Einzelfall. Die Bewohner der Seniorenresidenz am Märchenbrunnen in Berlin staunten nicht schlecht, als ihnen im vergangenen Jahr der Dinosaurierroboter „Pleo“ entgegenwatschelt. Er ist dem vor 200 Millionen Jahren ausgestorbenen pflanzenfressenden Camarasaurus nachempfunden. „Insgesamt ist der Dino recht gut angekommen. Die Leute haben ihn gestreichelt und mit ihm geredet“, erzählt Heimleiterin Renate Woick. Künstliche Lebensformen für die geistige Fitness im Alter – auch das gehört zur Automatisierung in der Pflege, wie sie sich einige Forscher vorstellen.

Schon machen sich Psychologen Gedanken, wie die Roboter aussehen müssen, damit sie den Menschen auch der nächsten Generation willkommen sind. Mit 8,2 Millionen Euro wird im EU-Forschungsprojekt „LIving with Robots and intEractive Companions“ (LIREC) den Maschinen Persönlichkeit eingehaucht, damit soziale Beziehungen zwischen Automat und Dienstherr entstehen. Das würde das Zusammenspiel „leichter, reibungsloser und intuitiver machen“, begründet Sibylle Enz, Psychologin der Universität Bamberg.

Wie Roboter auf den Menschen wirken, testete sie mit Kollegen der Gruppe für interdisziplinäre Psychologie. Sie filmten zwanzig Bamberger beim Umgang mit dem Roboterdino Pleo. Später kommentierten die Testpersonen die Aufzeichnungen.

Die meisten streichelten und kraulten die grüne Gummihaut des Roboters, worauf der sich mit wohligen Lauten, Schwanzwedeln oder Räkeln bedankte. Intuitiv liebkosten einige Probanden das Tier und begannen mit ihm zu sprechen. Allerdings fühlten sie sich häufig unwohl aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Wissen, einen Roboter vor sich zu haben, und der unwillkürlichen emotionalen Zuwendung.

Die Psychologin ist daher überzeugt, dass die Entwickler auf dem Holzweg sind, wenn sie Tiere oder Menschen immer naturgetreuer nachbauen. Studien aus Japan bestätigten, dass besonders menschenähnliche Roboter irritieren und an Glaubwürdigkeit verlieren. „Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine kann nur eine andere sein als die zwischenmenschliche“, leitet Enz daraus ab. Sie will jetzt herausfinden, wie Roboter aussehen, welche Persönlichkeitsstrukturen ihnen inne wohnen müssen, damit Homo sapiens sich gerne mit ihnen umgibt.

Während die Forscher verschiedener Disziplinen den Robotern den Einzug in den Alltag, speziell auch in die Pflege, ebenen, befürworten nicht alle Menschen diese Entwicklung. „Ein Pflegeroboter ist doch das Letzte“, schimpft Renate Woick. „Ich möchte nicht dem gewaschen und angezogen werden, wenn ich mal im Heim bin. Die Leute brauchen doch das nette Wort.“

Buxbaum kennt solche Einwände. Seine Antwort wiederholt er denn auch gebetsmühlenartig: Es ginge nicht darum, Pflegepersonal zu ersetzen und Arbeitsplätze wegzurationalisieren, sondern darum, die Pfleger zu unterstützen. „Die Pflegearbeit ähnelt doch schon heute einer Fließbandarbeit, weil kaum ausreichend Zeit bleibt. Das spricht für die Automatisierung. Die Pfleger werden mehr Zeit für das Gespräch haben, wenn die Roboter ihnen einfache Handgriffe abnehmen. Vorausgesetzt, die Politik nutzt nicht die Chance, um Personal abzubauen.“ Der Krefelder Robotikforscher wäre jedenfalls glücklich gewesen, wenn ihm vor dem Gespräch ein Roboter die Brille gebracht hätte, die er mehrere Minuten verzweifelt suchte.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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