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Ein dritter Daumen prägt das Gehirn

Robotik & Hirnforschung

Ein dritter Daumen prägt das Gehirn
Ein robotischer Zusatz-Daumen erweitert die Fähigkeiten der Hand. (Bild: Dani Clode Design, daniclode.com)

Wie passt sich das Gehirn an technische Erweiterungen an? Dies haben Forscher am Beispiel eines robotischen Zusatz-Daumens untersucht. Probanden lernten demnach schnell, das Greifwerkzeug geschickt und kreativ einzusetzen und empfanden den dritten Daumen schließlich sogar wie einen Teil ihres eigenen Körpers. Damit gingen charakteristische Veränderungen der Repräsentation der Hand im Gehirn einher, zeigten Untersuchungen. Ob sich dies negativ auf die normale Körpersteuerung auswirken könnte, sollen nun weitere Untersuchungen klären.

Beim Greifen der Kaffeetasse, der Bedienung der Computertastatur oder beim Gitarrespielen – ein raffiniertes neuronales Steuerungssystem ermöglicht die Bewegungen unserer Finger und anderer Körperteile. Die Grundlage bildet dabei ein Abbild unseres Körpers und seiner beweglichen Elemente im Gehirn. In diesem Zusammenhang werfen nun die neuen Techniken der sogenannten Augmentation Fragen auf: Es werden immer raffiniertere Robotik-Systeme entwickelt, die Funktionen verlorener Körperteile ersetzen oder die menschlichen Fähigkeiten erweitern können. „Körper-Augmentation ist ein wachsender Bereich, doch uns fehlt bisher ein klares Verständnis darüber, wie gut und sicher sich unser Gehirn an diese Systeme anpassen kann“, sagt Tamar Makin vom University College London.

Im Rahmen einer Studie haben sie und ihre Kollegen nun die Effekte eines Augmentations-Gerätes untersucht, das von der Co-Autorin Danielle Clode am Royal College of Art entwickelt wurde. Der sogenannte dritte Daumen wird auf der Seite der dominanten Hand getragen – in der Nähe des kleinen Fingers, sodass er dem eigentlichen Daumen des Benutzers gegenüberliegt. Der Träger steuert ihn mit Drucksensoren, die an den Füßen, an der Unterseite der großen Zehen, angebracht sind. Die beiden Zehensensoren sind drahtlos mit dem Dritt-Daumen verbunden und ermöglichen verschiedene Bewegungen. „Durch die Untersuchung von Menschen, die diesen dritten Daumen benutzen, wollten wir untersuchen, inwieweit das menschliche Gehirn ein solches zusätzliches Körperteil unterstützen kann und wie sich die Technologie auf unser Gehirn auswirkt“, sagt Makin.

„Fühlt sich wie ein Teil des Körpers an“

An der Studie nahmen 20 Freiwillige teil, die den Umgang mit dem dritten Daumen sowohl unter Anleitung der Forscher als auch im Alltag erlernten: Innerhalb von fünf Tagen nutzten sie den robotischen Zusatzfinger insgesamt sechs Stunden lang täglich. Während des Trainings im Labor wurden die Teilnehmer grundlegend geschult, den Daumen zu benutzen. Der Fokus lag dabei auf Aufgaben, bei denen eine Zusammenarbeit zwischen der Hand und dem technischen Zusatzfinger nötig war, wie etwa beim Aufheben mehrerer Bälle oder Weingläser mit einer Hand. Zuhause konnten die Probanden dann ihrer Kreativität beim Einsatz des Geräts freien Lauf lassen.

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Es zeigte sich, dass sie schnell eine motorische Kontrolle und eine geschickte Hand-Daumen-Koordination entwickeln konnten. Es war dabei auch immer weniger Konzentration nötig, berichten die Wissenschaftler. „Unsere Studie zeigt, dass Menschen schnell lernen können, ein Augmentations-Gerät zu steuern und es zu ihrem Vorteil zu nutzen, ohne viel nachdenken zu müssen. Wir haben gesehen, dass die Probanden bei der Verwendung des dritten Daumens ihre natürlichen Handbewegungen änderten, und sie berichteten auch, dass sich der Roboterdaumen schließlich wie ein Teil ihres eigenen Körpers anfühlte“, sagt Clode.

Kritisch veränderte Hirnaktivität?

Um möglichen Auswirkungen auf Hirnfunktionen auf die Spur zu kommen, haben die Forscher vor und nach der Gewöhnung an das Gerät die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) untersucht. Ohne den dritten Daumen zu tragen, bewegten die Teilnehmer dabei ihre Finger einzeln nacheinander an beiden Händen. In den Auswertungen zeichnete sich ab: Es gab signifikante Veränderungen dabei, wie die Hand, die mit dem dritten Daumen erweitert worden war, im sensomotorischen Kortex des Gehirns repräsentiert wurde. „Die Evolution hat uns nicht darauf vorbereitet, ein zusätzliches Körperteil zu verwenden. Es zeigt sich nun, wie das Gehirn die Darstellung des biologischen Körpers anpassen muss, um unsere Fähigkeiten zu erweitern“, sagt Makin.

Bei erneuten fMRI-Untersuchungen eine Woche nach dem Ende der Nutzungszeit waren die Veränderungen in der Gehirnaktivität allerdings wieder verschwunden, berichten die Wissenschaftler. Zumindest bei der kurzen Gewöhnungsphase von fünf Tagen waren die Effekte somit offenbar nicht von Dauer. Dennoch wirft das Ergebnis kritische Fragen auf, die vor einem breiten Einsatz der Technologie geklärt werden sollten, sagen die Forscher: In zukünftigen Untersuchungen wollen sie nun untersuchen, inwieweit sich die veränderte Repräsentation der Hand im Gehirn negativ auf die normale Nutzung der Hand auswirken könnte.

„Augmentations-Geräte ähnlich wie das von uns getestete, könnten sich als nützlich erweisen, denn sie ermöglichen es Menschen, dauerhaft oder vorübergehend komplexe Tätigkeiten mit nur einer Hand zu erledigen. Beispielsweise könnten Chirurgen dadurch ohne Assistenten auskommen oder Fabrikarbeiter effizienter arbeiten. Aber vorher müssen wir weiter an den Fragen forschen, wie diese Geräte mit unserem Gehirn interagieren“, sagt Erstautorin Paulina Kieliba vom University College London. „Wir müssen sicherstellen, dass Augmentations-Geräte die Lern- und Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns bestmöglich nutzen, und gleichzeitig gewährleisten, dass sie sicher verwendet werden können“, sagt die Neurowissenschaftlerin abschließend.

Quelle: University College London, Fachartikel: Science Robotics, doi: 10.1126/scirobotics.abd7935

Video: Dani Clode Design and The Plasticity Lab, UCL

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