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„Ein Unfalltod hat mein Leben verändert“

Technik|Digitales

„Ein Unfalltod hat mein Leben verändert“
Keine Karambolagen mehr im Straßenverkehr – das Ziel von Sebastian Thrun, einem deutscher Forscher in den USA.

bild der wissenschaft: Weshalb interessieren Sie sich so stark fürs Autofahren, Herr Thrun?

Sebastian Thrun: Ich habe vor etlicher Zeit bei einem Autounfall einen guten Freund verloren. Mein Freund und Nachbar war mit einem Bekannten unterwegs, der sich den neuen Audi Quattro seines Vaters ausgeliehen hatte. Beide waren 18 Jahre alt. Auf glatter Straße verlor mein Freund die Kontrolle über den Wagen und raste frontal in einen Lkw. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Wegen einer einzigen Fehlentscheidung haben beide Menschen ihr Leben verloren. Damals schwor ich mir, meinen Teil zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr beizutragen.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie der Gesellschaft dienen wollen. Warum?

Generell schätze ich Projekte, von denen die Gesellschaft profitieren kann. Und es gibt noch vieles, was nicht gut genug funktioniert. Das will ich ändern. Bei Autos lassen sich noch etliche Funktionen optimieren. Dabei ist das Thema Sicherheit für mich am wichtigsten.

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Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Google? Hat Sie nach dem Sieg beim Wüstenrennen der DARPA Grand Challenge Google-Chef Sergey Brin gefragt: „Sebastian, können Sie so etwas auch für uns machen?“

Larry Page kam tatsächlich häufig zu diesen Veranstaltungen, aber meine Zusammenarbeit mit Google begann bereits 2007 mit dem Projekt Street View. Damals wollte Google ein paar kühne Forschungsprojekte verwirklichen. Und die Führung von Google bot mir in diesem Zusammenhang an, dass ich etwas ganz Fundamentales machen dürfte.

Ihre fahrerlosen Autos haben in den letzten drei Jahren über 300 000 Kilometer unfallfrei zurückgelegt. Was ist noch zu tun, bis das Google-Auto für jedermann zu haben ist?

Es gibt durchaus noch etliche Defizite – zum Beispiel, wenn beim Fahren plötzlich eine Baustelle auf der Straße auftaucht. Außerdem haben wir noch nicht getestet, wie die Wagen zurechtkommen, wenn Straße und Umgebung komplett mit Schnee bedeckt sind.

Ist die Technologie auf jedes Auto übertragbar?

Theoretisch ja, praktisch aber nicht uneingeschränkt. Der Knackpunkt ist: Die meisten Autos haben eine Servolenkung, und die funktioniert entweder hydraulisch oder elektrisch. Wir benutzen nur die elektrische Variante, weil sie für Computer einfacher zu beherrschen ist.

Ist die Vorstellung bei Google, dass man künftig einen Neuwagen mit einer Selbstfahr-Option bestellen kann – so wie heute etwa ein Fahrzeug mit beheizbaren Sitzen?

Das wäre prima. Aber wir wissen nicht, welchen genauen Weg unser Projekt weiter einschlagen wird. Wir sind im Gespräch mit etlichen Autoherstellern. Google hat ja in der Vergangenheit schon häufig seine Technologie anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt, etwa das Betriebssystem Android für Mobiltelefone.

Wo werden wir wohl zuerst einem Google-Auto begegnen?

Zunächst möchten wir Menschen helfen, die beim Fahren Probleme haben: zum Beispiel älteren oder behinderten Menschen. Aber am Ende soll diese Technologie allen das Autofahren erleichtern.

Die Vorstellung, dass ein Auto von selbst fährt, ist reizvoll. Doch viele Menschen haben Spaß am Autofahren. Wo bleibt beim Google-Auto das Fahrvergnügen?

Es gibt von unserer Seite keine Bestrebungen, das Autofahren einzuschränken. Im Gegenteil! Unser Auto sieht so aus: Es gibt darin einen Knopf für die Fahrautomatik – und wenn man sich entscheidet, ihn nicht zu drücken, dann bleibt das Auto so, wie wir es kennen. Wir möchten nur eine Alternative für Situationen bieten, in denen sich der Fahrer unsicher fühlt.

Welches Auto fahren Sie zurzeit – und hätten Sie selbst gerne eine Selbstfahr-Option?

Ich fahre einen Nissan Leaf. Und ich hätte sehr gerne diese Option. Dann würde ich beim täglichen Pendeln zur Arbeit nicht mehr selbst fahren, sondern im Wagen die Zeitung lesen. Das wäre viel angenehmer, als mich ständig auf die Straße konzentrieren zu müssen.

Wenn man in die Geschichte des Automobils blickt, dann gibt es im Vergleich etwa zur Computerbranche deutlich weniger grundlegende Veränderungen. Woran liegt es, dass das selbstfahrende Auto erst jetzt, im 21. Jahrhundert, Gestalt annimmt?

Es müssen bestimmte Ereignisse eintreten, damit solche Projekte gedeihen können. In diesem Fall waren es die DARPA Challenges. Dort hat man eine klare Vision und hat den Gedanken des automatischen Fahrens sehr weit entwickelt. Wir haben die unglaublichsten Leute gefunden und aus ihnen ein Weltklasse-Team zusammengestellt. Eric Schmidt – ein ehemaliges Google-Vorstandsmitglied – hat einmal gesagt: „Wenn Computer eher als Autos erfunden worden wären, hätten wir heute ganz andere Autos.“ Wir arbeiten gerade daran, diese Entwicklung nachzuholen.

Was ist Ihre Vision: Wie werden wir uns in 50 oder 100 Jahren bewegen?

Ich stelle mir vor, dass es dann keine Unfälle mehr geben wird – und damit auch keine Toten oder Verletzten im Verkehr. Außerdem werden die Menschen deutlich weniger Zeit im Pendelverkehr verbringen. Und: Jeder sollte Autofahren können, auch wenn er schon älter oder behindert ist.

Sie haben im Juni 2011 die Online-Universität Udacity gegründet. Dort kann man kostenlos in einem sieben Wochen langen Kurs lernen, wie man einem Auto das Selbstfahren beibringt.

Die Vision hinter diesem Projekt ist, Bildung zu demokratisieren und besser zugänglich zu machen – insbesondere in der Dritten Welt, aber auch für Menschen in entwickelten Ländern, die kein Geld für ein Studium haben. Angefangen habe ich zusammen mit meinem Google-Kollegen Peter Norvig. Wir haben einen Studienkurs für Künstliche Intelligenz, den wir normalerweise in Stanford unterrichten, online angeboten und erhielten dafür rasch etwa 50 000 Anmeldungen. Das waren mehr Studenten als an allen anderen Universitätskursen in Künstlicher Intelligenz weltweit – ein riesiger Erfolg. Nach Ende des Kurses bekamen wir säckeweise Post von Studenten, die sich bei uns bedankten und meinten, wir hätten ihr Leben verändert. 23 000 Studenten haben diesen Kurs bestanden. Darüber bin ich sehr glücklich. ■

Das Gespräch führte Désirée Karge

Sebastian Thrun

ist gebürtiger Solinger mit US-amerikanischem Pass. Der Informatiker (Jahrgang 1967) gilt als einer der weltbesten Wissenschaftler auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und Robotik. Bis vor Kurzem leitete er das Artificial Intelligence Lab der University of Stanford in Kalifornien und gewann 2005 mit seinem Team die DARPA Grand Challenge – eine vom US-Verteidigungsministerium ausgeschriebene Wüstenrallye für fahrerlose Geländewagen. Inzwischen arbeitet der Stanford-Professor auf dem Google-Campus im kalifornischen Mountain View an der Entwicklung selbstfahrender Autos für jedermann – und will damit mobile Geschichte schreiben.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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