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Gift auf dem Dach

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Gift auf dem Dach
Strom aus Solarzellen gilt als ökologisch korrekt. Doch das Saubermann-Image ist bedroht, weil der Marktanteil von Modulen explodiert, die giftiges Kadmium enthalten. Befürworter und Gegner kämpfen mit harten Bandagen. von Bernd Müller

Wie schmutzig darf sauber sein? Diese kniffelige Frage stellt sich derzeit die Photovoltaik-Branche. Der Fall: Einige Hersteller, darunter Calyxo und der Weltmarktführer First Solar, setzen auf Dünnschichtsolarzellen mit Kadmiumtellurid als Halbleitermaterial. Diese Module sind weit billiger als herkömmliche Siliziumzellen – pro Watt Leistung zahlt der Kunde weniger als einen Dollar. Und sie haben einen großen Anteil am Solarboom der letzten Jahre, ihr Marktanteil liegt bereits bei über zehn Prozent. Das ist gut fürs Klima, weil weniger Kohle in Kraftwerken verfeuert wird und weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt.

Allerdings ist über die Wirkung von Kadmiumtellurid auf die Gesundheit wenig bekannt. Kadmium-Verbindungen sind generell giftig, sie schädigen vor allem Nieren und Nerven. So ist unter den Herstellern ein heftiger Streit entbrannt, ob eine Technologie auch dann „sauber“ ist, wenn sie etwas Gift enthält. Eskaliert ist der Streit 2010, als die EU über eine Novellierung der sogenannten RoHS-Richtlinie (Restriction of Hazardous Substances) entscheiden musste. Diese Richtlinie 2002/95/EG zur Beschränkung gefährlicher Stoffe soll die Verbreitung von schädlichen Chemikalien eindämmen, in erster Linie in der Wegwerfelektronik. Insbesondere verbietet sie Blei in Lötverbindungen. Die Grenzwerte für Quecksilber, Blei, Kadmium sowie weitere Stoffe und Verbindungen enthalten allerdings Ausnahmen, zum Beispiel für Leuchtstofflampen – und für Solarzellen.

ALLIANZ GEGEN KADMIUM

Diese Ausnahme ist den Vertretern der „Non-Toxic Solar Alliance“ ein Dorn im Auge. In dem Verein haben sich zahlreiche Hersteller zusammengeschlossen, natürlich nur solche Unternehmen, die auf Siliziumtechnologie setzen und damit ohne Kadmium auskommen. Die Allianz, die sich im Gründungsprotokoll als Interessenvertretung der unterzeichnenden Firmen zu erkennen gibt, fordert von der EU eine Rücknahme der Ausnahme in der RoHS-Richtlinie.

Das wäre das Ende von Kadmiumtellurid in Solarzellen und wohl auch das Ende des Aufstiegs von First Solar. Die gescholtene Firma wähnt hinter dem Verein einen Angriff der Konkurrenz aus rein kommerziellen Interessen und wehrt sich mit einem Aufgebot an Lobbyisten in Brüssel und Berlin, die Werbung für Kadmiumtellurid machen sollen. Ihr wichtigstes Argument: Wenn man auf die preisgünstigen Kadmiumtellurid-Module verzichtet, bei denen sich die Kosten schneller als bei anderen amortisieren, sei Sonnenstrom nicht konkurrenzfähig zu Kraftwerksstrom. Und was immer zieht: Arbeitsplätze. First Solar wurde bei Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck vorstellig und wies auf den möglichen Verlust von 600 Stellen im Werk Frankfurt/Oder hin.

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ENERGIESPAREN RECHTFERTIGT NICHT ALLES

Die Gegner kontern: „Ausgerechnet die grüne Umwelttechnologie Photovoltaik ruft nach Ausnahmen in dem ohnehin schon schwachen Gesetz“, sagt Milan Nitschke, der in Brüssel und Berlin für die Position seines Arbeitgebers Solarworld wirbt. Dieser Widerspruch ist auch Jürgen Werner ein Dorn im Auge. Der Leiter des Instituts für Physikalische Elektronik (IPE) der Universität Stuttgart ist einer der Mitbegründer der Non-Toxic Solar Alliance. „Eine schmutzige Technologie wird nicht dadurch sauber, dass sie Energie spart“, betont Werner. Nach diesem Prinzip leitet er auch sein eigenes Institut. Das IPE hatte schon viele Jahre in der Photovoltaik gearbeitet, bevor Werner dort Professor wurde. Dabei fielen vier Tonnen Giftmüll im Keller an. Daraufhin sei man ausgestiegen aus der Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid-Technologie (CIGS, auch CIS genannt). Es handelt sich dabei ebenfalls um eine Dünnschichttechnologie – Selen ist zwar ein wichtiges Spurenelement, aber in höheren Dosen giftig.

Laut Milan Nitschke ist der rasche Ausbau der Sonnenstromgewinnung in Europa keineswegs gefährdet, weil auch die SiliziumFraktion die Kosten pro Watt jährlich um zehn Prozent senkt. Die Mitstreiter von Solarworld in der Anti-Gift-Allianz wie Bosch Solar, Photovoltech oder Wacker haben allerdings ebenfalls noch Hausaufgaben zu machen: Die Lote zum Verbinden der Leiterbahnen enthalten teilweise noch Blei. Bleifreie Lote gibt es zwar, aber noch nicht in ausreichenden Mengen. Dafür werden Technologien entwickelt, um das Eindringen der Lote mit dem Laser zu unterstützen.

ZIEL: KEINE SCHWERMETALLE

Einige Hersteller haben sich bereits verpflichtet, in den nächsten Jahren ganz auf Schwermetalle zu verzichten. Dazu wären sie nicht bereit, wenn sie dadurch Nachteile hätten. Jede der derzeitig existierenden Photovoltaik-Technologien könne auf die gleichen niedrigen Herstellkosten kommen, wie sie für Kadmiumtellurid-Module anfallen, wenn die Fabrikgrößen wachsen würden, sagt Jürgen Werner. „Wir müssen einfach nur die hohen Solarsubventionen auf wirklich saubere Technologien konzentrieren und so die Entwicklung von großen, sauberen Fabriken ermöglichen.“ Und Milan Nitschke von Solarworld ist überzeugt, dass bei einem Wegfall der RoHS-Ausnahme und dem dann steigenden Druck auf die Zulieferer sämtliche Solarzellen innerhalb kürzester Zeit schwermetallfrei wären. Gleiches fordert Jürgen Werner von anderen Branchen: „Die Ausnahme für Energiesparlampen, die Quecksilber enthalten, halte ich für falsch. Sie sollte abgeschafft werden, sobald gleichwertige Leuchtdioden verfügbar sind.“

Christian Reckziegel, bei First Solar in Europa Direktor für Umweltmanagement und Sicherheit, glaubt nicht an die hehren Absichten der Wettbewerber: „Unsere Gegner tun so, als hätten alle Probleme nur mit Kadmiumtellurid zu tun – das ist ein Mythos.“ Reckziegel verweist auf Studien, laut denen der umstrittene Stoff gar nicht in die Umwelt gelangen kann, schon gar nicht als reines Kadmium. Bei der Herstellung wird die dünne Schicht mit dem Kadmiumtellurid zwischen zwei Glasplatten versiegelt. Dort ist sie auch dann vor dem Austreten geschützt, wenn das Glas zerbricht. Seit einiger Zeit verbeißen sich die Kontrahenten in die Frage, ob bei einem Hausbrand Kadmium frei werden kann. Dazu gibt es Studie und Gegenstudie, jeder argumentiert nach seiner Interessenlage. Gelänge der Stoff tatsächlich in die Umwelt, würden bei einem typischen 0,72-Quadratmeter-Modul 7 Gramm Kadmiumtellurid und damit 3,3 Gramm Kadmium frei. Allein die von First Solar produzierten Module enthalten insgesamt rund 55 Tonnen Kadmium.

Als Pluspunkt verbucht Reckziegel die Recycling-Anlage in Frankfurt/Oder, die seit 2005 insgesamt 1,6 Millionen Module rezykliert hat – freiwillig, wie Reckziegel betont, denn eine Pflicht dazu gebe es nicht. Doch First Solar ist klar, dass das Recycling ein wichtiger Trumpf ist, um die eigene umstrittene Technologie im Spiel zu halten. Die Ausfallrate der Module ist mit unter einem Prozent pro Jahr gering und die Lebensdauer mit 20 Jahren so lang, dass es laut Umweltbundesamt erst ab 2020 zu einem deutlichen Anstieg des Rücklaufs kommen wird. Doch dann muss die Rücknahme funktionieren, sonst landen die Module auf dem Hausmüll. Das werden sie zum Teil ohnehin, ist Jürgen Werner überzeugt: „Das Recycling-Programm wird vor allem bei großen Anlagen greifen, nicht bei der Solaranlage auf dem Einfamilienhaus, die vielleicht doch irgendwann im Hausmüll endet oder in der Dritten Welt wiederverwendet wird.“ Nach 20 Jahren wüsste schließlich kein Hausbesitzer mehr, was für ein Modul er auf dem Dach hat.

SCHREDDERN, MAHLEN, lösen

Das Recycling-Verfahren bietet First Solar auch anderen Unternehmen der Branche an. In Schredder und Mühle wird das Modul zu Granulat verarbeitet, eine dünne Säure mit Wasserstoffperoxid löst den Halbleiter heraus. Durch Anheben des pH-Werts fallen Kadmiumhydroxid und Tellurhydroxid aus der Lösung und können gefiltert werden. Der Filterkuchen lässt sich wieder zu Kadmiumtellurid verarbeiten. Die Wiedergewinnungsrate liegt bei 95 Prozent, geringe Mengen bleiben am Glas oder an Luftfiltern haften, sollen aber künftig auch rezykliert werden. „ Kadmiumtellurid ist teuer. Schon deshalb haben wir ein Interesse, es zurückzugewinnen“, betont Reckziegel. Im Ausland wird der europäische Streit mit Verwunderung gesehen. In Japan ist Kadmiumtellurid verpönt, die Forschung daran wurde eingestellt. Anders in China: Dort gilt die europäische RoHS-Richtlinie als vorbildlich. Bleibt die Ausnahme langfristig bestehen, werden wohl chinesische Firmen massiv in die Produktion von Kadmiumtellurid-Modulen einsteigen. „Die Folgen für die Umwelt wären nicht absehbar“, warnt Jürgen Werner. Doch wie es aussieht, scheint die Doppelstrategie von First Solar aufzugehen, zugleich als Recycling-Vorbild und als Retter des Weltklimas dazustehen. Denn der Umweltausschuss, der für die EU-Kommission die Novellierung der RoHS-Richtlinie vorbereitet, hat im Herbst 2010 die Verlängerung der bestehenden Regelung für weitere vier Jahre empfohlen. Und das Parlament der Europäischen Union hat inzwischen zugestimmt. Damit dürfte der Weg endgültig frei sein für einen weiteren Solarboom mit Kadmiumtellurid-Solarzellen – aber auch für weiteren Streit um die Langzeitfolgen für die Umwelt und um das Öko-Image der gesamten Branche. ■

BERND MÜLLER, Physiker und ehemaliger bdw-Redakteur, achtet seit seinen Recherchen verstärkt auf Produkte ohne Schwermetalle.

Kompakt

· Hersteller von Kadmiumtellurid-Solarmodulen wie der Welt-Spitzenreiter First Solar freuen sich über ihre Markterfolge.

· Firmen mit konkurrierenden Technologien haben eine Allianz gegründet und kämpfen gegen die Kadmium-Verbreitung.

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Internet

Die Webseiten des Modulherstellers First Solar in Tempe/Arizona … www.firstsolar.com/

… und der Auftritt des Widersachers, der Non-Toxic Solar Alliance in Berlin: www.ntsa.eu/

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