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Grips aus dem Gewimmel

Technik|Digitales

Grips aus dem Gewimmel
Statt auf einen großen komplizierten Roboter setzen manche Forscher auf viele kleine einfach gestrickte künstliche Kreaturen. Durch geschicktes Teamwork sollen sie die Tiefsee und auch fremde Himmelskörper auskundschaften.

Roboter: Darunter stellen sich die meisten Menschen einen künstlichen Organismus vor, der voll gestopft ist mit Hochtechnologie, dessen Gestalt an den menschlichen Körper erinnert, der dem Menschen aber an Geistes- und Körperkraft überlegen ist. Die Filmstudios in Babelsberg und Hollywood haben es vorgemacht: Sie erfanden Kreaturen wie „Maria”, den Roboter aus Fritz Langs Meisterwerk „Metropolis” aus dem Jahr 1927, „ C-3PO”, den Protokolldruiden aus den „Star Wars”-Filmen, den von Arnold Schwarzenegger verkörperten Cyborgs aus der „Terminator” -Serie und „Sonny” aus dem Film „I, Robot”, der 2004 in die Kinos kam. Und viele Roboterhersteller machen es nach, etwa Honda mit dem „ASIMO”, Toyota mit Robotern, die Flöte oder Geige spielen können, und der amerikanische Ingenieur und Designer David Hanson mit seinem robotischen Abbild von Albert Einstein und dem Roboterjungen „Zeno” (bild der wissenschaft 4/2008, „Zum Gruseln menschlich”).

Gebaut werden die künstlichen Geschöpfe meist nach einem festen Bauplan, mit klaren Vorgaben dafür, was sie tun können. Als Vorbild dient der Mensch. Allerdings: „Die Evolution hat nicht mit der Krone der Schöpfung angefangen, sondern mit viel einfacheren Organismen”, sagt Paul Levi, Robotiker am Institut für Parallele und Verteilte Systeme der Universität Stuttgart. In den letzten Jahren haben Robotiker daher begonnen, sich andere Lebensformen zum Vorbild zu nehmen: Staaten bildende Insekten wie Ameisen und Bienen, die zwar als Individuen nicht sehr leistungsfähig und intelligent sind, gemeinsam aber komplexe Bauten errichten und große Gemeinwesen gründen.

Simple Greifer statt Hände

Zum Beispiel Marco Dorigo, Forschungsdirektor am Institut für künstliche Intelligenz der Freien Universität Brüssel: Er arbeitet eng mit Biologen zusammen, die das Verhalten von Ameisen studieren. Seine Idee: kleine Roboter zu bauen, die als Schwarm unterschiedlichste Aufgaben erfüllen – gesteuert über mathematische Algorithmen, die vom Verhalten der Ameisen und Bienen inspiriert sind. Die Roboter, die Dorigo und sein Team im Projekt „Swarm-bots” entwickelt haben – die „S-bots” –, können es an Komplexität mit den Robotern von Honda und Toyota kaum aufnehmen. Ein S-bot hat einen runden Körper von zwölf Zentimetern Durchmesser, an dem acht Leuchtdioden sitzen. Angetrieben wird ein S-bot von zwei „Treels” – einer Kombination aus Raupenkette und Rädern. Er verfügt über Sensoren für Entfernung, Licht und Beschleunigung sowie eine Kamera. Um Gegenstände zu fassen, hat er keine Arme mit Händen, sondern nur einen kleinen Greifer. Wie eine einzelne Ameise ist ein S-bot allein nicht sehr leistungsfähig. Schon eine wenige Zentimeter hohe Schwelle oder ein Spalt überfordern ihn. Gänzlich versagt er bei einer Treppe mit mehreren Stufen, die ein ASIMO mühelos erklimmen könnte. Doch wie eine Ameise kann er zusammen mit Artgenossen eine Aufgabe lösen, die für ihn alleine zu schwierig ist. Nach dem Vorbild des Ameisenvolks folgt der Schwarm aus S-bots keiner festen Steuerung. Einsätze etwa auf einem fremden Planeten ließen eine Fernsteuerung auch gar nicht zu: So braucht ein Funksignal zum Mars rund 20 Minuten. Die Roboter müssen deshalb allein zurechtkommen. Sie müssen miteinander kommunizieren, um sich organisieren zu können.

Verständigung per Lichtsignal

Die Idee der Forscher um Marco Dorigo ist, dass auf Basis von nur wenigen einfachen Regeln ein komplexes Schwarmverhalten entsteht. Grundvoraussetzung dafür ist eine situationsbezogene Kommunikation. Das bedeutet: Ein Roboter muss merken, wenn er angesprochen wird, und er muss wissen, wer mit ihm redet. Funk sei dafür kaum geeignet, erklärt Dorigo. Denn für die Roboter ist nicht zu erkennen, von welchem Kumpel ein empfangenes Funksignal ausgeht.

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Dorigos Team hat dieses Problem durch eine Kommunikation mit optischen Signalen gelöst: Jeder Roboter verfügt über einen Ring mit acht Leuchtdioden, die in verschiedenen Farben leuchten. „Wir haben ein paar einfache Regeln definiert und diese in einen Farbcode übersetzt”, sagt der Brüsseler Forscher. „Sobald eine Farbe gezeigt wird, reagieren die Roboter in der Nähe darauf.”

Wenn ein Roboter einen breiten Spalt überqueren will, ruft er mit einem roten Licht um Hilfe. „Damit signalisiert er den anderen: Ich brauche Unterstützung. Verbündet euch mit mir!” Roboter in seiner Nähe sehen das Signal und eilen zu ihm. Gleichzeitig schalten sie ein blaues Licht an, was bedeutet, dass andere S-bots sich fernhalten sollen. Haben sie den hilfesuchenden Roboter erreicht, klammern sie sich mit ihren Greifern an ihn und bilden eine Kette, die lang genug ist, um den Spalt zu überwinden. „Die anderen Roboter brauchen gar nicht zu wissen, was der erste vorhat”, erklärt Dorigo. „Sie verbünden sich einfach mit ihm – und er führt seine Aufgabe fort, sobald er diese Unterstützung bekommen hat.”

Lässig zum erfolg

Was dabei genau geschieht, bleibt weitgehend im Dunkeln. Denn die Schwarmrobotiker setzen nicht auf eine präzise Beschreibung von Aktionen, wie sie etwa bei der Robotersteuerung in der industriellen Massenproduktion üblich ist. „Unsere Steuerung ist sehr ungenau und stochastisch. Wir wissen nie exakt, was der einzelne Roboter tut”, sagt der Wissenschaftler. „Doch wenn viele Roboter kooperieren, entsteht daraus eine Art von Intelligenz – und am Ende machen die Roboter etwa das, was von ihnen erwartet wird.”

Dieser Ansatz bringt eine Reihe von Vorteilen, betont die amerikanische Ingenieurin Kristi Morgansen, die an der University of Washington in Seattle Forschungsroboter für die Tiefsee entwickelt: „Auch wenn ein einzelner Roboter nur eingeschränkte Fähigkeiten hat, kann ein Schwarm aus etlichen solcher simplen Exemplare unter Wasser mehr Daten sammeln, als ein einziger großer Roboter, der an sich viel leistungsfähiger ist.” Außerdem sei es einfacher, mehrere kleinere Roboter auf ein Schiff zu verladen und aufs offene Meer zu transportieren. „Kleinere Roboter sind besser zu handhaben – und sie sind günstiger”, sagt Morgansen. Der Brüsseler Robotiker Dorigo nennt einen weiteren Vorteil: Je komplexer ein System ist, desto fehleranfälliger ist es. Ein Roboter, der aus vielen Komponenten besteht und viele Funktionen erfüllen kann, ist allein durch seine Konstruktion fehleranfälliger als ein Roboter, der aus wenigen Komponenten besteht. Fällt ein einzelner komplexer Roboter aus, kann dadurch die ganze Mission fehlschlagen – eine Katastrophe für die Forscher, etwa bei einem Einsatz auf einem fremden Planeten. „ Fallen aber aus einem Schwarm von mehreren Dutzend Robotern einer oder zwei aus, kann die Aufgabe trotzdem gelöst werden”, sagt Dorigo.

Kurzsichtige Kreaturen

Ein einfacher und kostengünstiger Schwarmroboter hat aber auch Nachteile gegenüber einem großen, komplizierten künstlichen Gesellen. Er wiegt weniger und ist handlicher als sein sehr leistungsfähiger und ausdauernder Kollege. Aber damit der Roboter klein und leicht ist, darf er nur aus wenig Material bestehen, und die einzelnen Bauteile dürfen nur geringen Platz in Anspruch nehmen. Das bringt Probleme mit sich. Etwa bei den S-bots: Da deren Bildverarbeitung sehr einfach und ihre Sicht eingeschränkt ist, sieht jeder dieser Roboter nur diejenigen anderen, die sich in seiner direkten Nachbarschaft aufhalten.

Für den Stuttgarter Wissenschaftler Levi ist die Miniaturisierung ein wesentlicher Bestandteil der Schwarmrobotik. „Wir wollen künstliche Intelligenz unter Berücksichtigung aller Schwierigkeiten erzeugen, mit denen auch Lebewesen zurechtkommen müssen”, erklärt er. „Unser Ziel ist, der Natur möglichst nahe zu kommen.” Wenn eine Biene mit begrenzten Speicher- und Rechenkapazitäten auskommt, müsse das auch bei einem Roboter möglich sein. Allerdings gibt Levi zu, dass seinem Team solche Limits schwer zu schaffen gemacht haben: „Der Roboter hatte nicht genug Energie oder zu wenig Speicherplatz”, sagt Levi. Und er nennt noch weitere Probleme, die bei der Entwicklung eines Miniroboters in dem von der Uni Karlsruhe geleiteten Projekt „ I-Swarm” auftraten: „Ein Bein oder ein Rad brach ab, oder der Roboter blieb, weil er so klein ist, schlicht im Staub auf der Tischplatte stecken.” Dreieinhalb Jahre haben die Entwickler an dem nur einen Kubikmillimeter kleinen Roboter getüftelt – dem kleinsten der Welt, wie Levi stolz betont.

Wohin sollen Roboter künftig ausschwärmen? Morgansens Maschinen sind für den Einsatz im Meer vorgesehen. Sie hat einen Roboter nach dem Vorbild eines Fischs entworfen. Sie wolle das natürliche Antriebssystem mit Schwanz technisch umsetzen und ausprobieren, weil es effizienter sei als der vom Menschen entwickelte Antrieb mit Propeller, sagt sie. Derzeit testet die Forscherin aus Seattle ihre Fischroboter in einem großen Wassertank. In Zukunft sollen die Roboter den Tiefseeboden kartieren und dort Proben sammeln. Oder sie sollen Wale aufspüren und verfolgen, um deren Lebensweise besser zu verstehen. Morgansens europäische Kollegen entwickeln Roboter, die sich in Katastrophengebieten oder auf fremden Planeten einsetzen ließen.

Ein fliegendes Auge eilt voraus

Die Robotiker um Marco Dorigo konstruieren derzeit einfache Kunstwesen, die miteinander kombiniert einen einzelnen Roboter bilden, den „Swarmanoid”: „Das ist ein Gebilde, das aus drei Typen von Robotern besteht. Wir nennen sie Footbot, Handbot und Eyebot”, erklärt Dorigo. Der Footbot basiert auf dem S-bot und wird als Transportfahrzeug eingesetzt. Auf ihm sitzt der Handbot, der aus zwei Greifarmen besteht. Da er sich nicht selbst fortbewegen kann, wird der Handbot vom Footbot transportiert. Der Eyebot fliegt voraus, erkundet das Terrain und dirigiert die anderen Roboter. Für den Stuttgarter Forscher Paul Levi ist der Einsatz der Roboter in einem Schwarm nur ein Zwischenschritt der Entwicklung: Levi hofft, dass sich Roboter einmal selbst organisieren und zu einem robotischen Organismus verbinden, der – anders als ein Schwarm – eine feste Form, einen Körper hat.

Selbst organisiert, das heißt für Levi, dass es keine starren Regeln für die Form gibt. Stattdessen soll der robotische Organismus über ein technisches „Genom” verfügen, nach dem er sich selbst zusammenbaut – und dabei die spezielle Gestalt seiner Umgebung berücksichtigt. Solche robotischen Zellen könnten zum Beispiel als Bausteine für Roboter dienen, die fremde Planeten erkunden sollen. Das Szenario sähe dann so aus: Eine Kiste mit Minirobotern wird mit einer Raumsonde auf den Mars oder die Venus verfrachtet. Dort fügen sich die Miniaturmaschinchen zu einem großen Roboter zusammen, dessen Gestalt und Fertigkeiten ideal zu den Umweltbedingungen passen und der selbstständig den Himmelskörper erkundet. Der Weg dorthin ist noch weit. „Ich bin aber überzeugt, dass wir das schaffen können”, betont Paul Levi. ■

Werner Pluta ist Technikjournalist in Hamburg und Berlin. Einen Roboter könnte er als Helfer in seinem Doppelhaushalt gut gebrauchen.

von Werner Pluta

Mehr zum Thema

Internet

Projektseiten zu den „Swarm-bots”: www.swarm-bots.org

Homepage von Paul Levi an der Universität Stuttgart: www.ipvs.uni-stuttgart.de/abteilungen/bv/abteilung/mitarbeiter/paul.levi/de

Kompakt

· Schwarmroboter arbeiten so zusammen, wie Ameisen oder Bienen es tun.

· Aufs Greifen, Sehen oder Fortbewegen spezialisierte Maschinen bilden ein Team.

· Künftig sollen sich die Roboter je nach Anforderung passend zusammenfügen.

Mehr zum Thema

Lesen

Technologie und Anwendungen von Servicerobotern: Rolf Dieter Schraft, Martin Hägele, Kai Wegener Service Roboter Visionen Carl Hanser, München 2004 € 59,95

Zahleiche Hintergrundinfos, Geschichten und beeindruckende Bilder: Daniel Ichbiah Roboter Knesebeck, München 2005 € 35,–

Gut gemachtes Buch zu einer Ausstellung: Bodo-Michael Baumunk, Joachim Kallinich, Johanna Sänger (Herausgeber) Die Roboter kommen! Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Berlin 2007 € 16,50

Internet

Homepage des „Research Institute for Cognition and Robotics” (CoR-Lab) der Universität Bielefeld: www.cor-lab.de

Center of Excellence „Cognitive Interaction Technology”: www.cit-ec.de/index.php

Roboterforschung am Fraunhofer IPA: www.ipa.fraunhofer.de/Arbeitsgebiete/ robotersysteme

Deutsche Servicerobotik Initiative „Desire”: www.service-robotik-initiative.de

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