Tragbare Robotersysteme zur Unterstützung der Fortbewegung hatten bisher einen Haken: Sie konnten sich nicht an die jeweilige Fortbewegungsweise des Trägers anpassen. Nun präsentieren Forscher erstmals ein System mit „Gefühl“ für die menschliche Bewegung: Ihre leichte und flexible Roboter-Hose stellt sich automatisch auf die jeweilige Gangart ein und kann dadurch sowohl beim Gehen als auch beim Rennen effektive Kraftunterstützung liefern. Das Konzept könnte beispielsweise bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mit Gehbehinderungen zum Einsatz kommen, sagen die Entwickler.
Vom entspannten Schlendern bis zum rasanten Sprint: Die menschlichen Gangarten decken bekanntlich einen weiten Geschwindigkeitsbereich ab und folgen dabei unterschiedlichen Bewegungsabläufen. In der Regel wählen wir denjenigen Modus, der bei einer bestimmten Geschwindigkeit den geringsten Energieverbrauch verursacht: Bei langsamer Bewegung ist die Stoffwechselrate im Geh-Modus niedriger als beim Rennen. Umgekehrt ist bei hohen Geschwindigkeiten die Stoffwechselrate beim Laufen geringer als beim schnellen Gehen. Deshalb schalten wir ab einer bestimmten Geschwindigkeit automatisch vom Geh- in den Laufmodus um und umgekehrt.
Herausforderung „Gangschaltung“
Bei der Entwicklung von Robotersystemen zur Unterstützung der Fortbewegung hat sich dieses Umschalten und die unterschiedliche Biomechanik der beiden Gangarten als eine erhebliche Herausforderung herausgestellt. Forscher haben zwar bereits Roboteranzüge entwickelt, die durch mechanische Unterstützung Zusatzkraft liefern können – dabei galt allerdings bisher entweder- oder: Aufgrund der verschiedenen Bewegungsabläufe der beiden Gangarten konnte kein praktikables System sowohl beim Gehen als auch beim Rennen unterstützend wirken.
Außerdem schränkte bei den bisherigen Modellen die Steifigkeit der Strukturen die natürliche Bewegungsfreiheit des Trägers zusätzlich ein. Letztlich gilt: Die Bilanz muss positiv ausfallen. Denn unterm Strich ist ein Roboteranzug nur dann eine praktische Hilfe, wenn seine Leistung die Belastungen übertrumpft, die durch Gewicht, sperrige Strukturen sowie eine mangelnde Anpassungsfähigkeit entstehen. Was all diese Aspekte betrifft, repräsentiert das neue Konzept der Forscher um Conor Walsh von der Harvard University in Cambridge nun einen deutlichen Fortschritt.
Anpassungsfähige und bequeme Unterstützung
Wie sie erklären, setzt ihr System an einem Ablauf an, der beim Gehen und auch beim Rennen wichtig ist. Es handelt sich um die Bewegung im Hüftbereich, die etwa zu dem Zeitpunkt einsetzt, bei dem der Fuß den Boden berührt. Sie wird von dem etwa fünf Kilogramm schweren Roboteranzug unterstützt. Er kann wie eine Art Hose getragen werden und besteht aus Textilelementen, die an Taille und Oberschenkeln sitzen, sowie einer Steuereinheit, die am unteren Rücken angebracht ist. Batteriebetriebene Motoren erzeugen über Kabel eine Zugkraft zwischen dem Hüftgurt und den Elementen an den Oberschenkeln. Dadurch entsteht ein Drehmoment am Hüftgelenk, das den Effekt der Gesäßmuskeln unterstützt.
Um dem System Gespür und Anpassungsfähigkeit für die jeweilige Fortbewegungsweise des Trägers zu verleihen, entwickelten die Forscher auf der Grundlage von biomechanischen Untersuchungen einen Gangklassifizierungs-Algorithmus. „Er kann den Übergang von einem Gang zum anderen zuverlässig erfassen, indem er die Beschleunigung des Massenschwerpunkts des Trägers mit am Körper angebrachten Sensoren überwacht“, erklärt Co-Autor Philippe Malcolm von der University of Nebraska in Omaha. „Sobald ein Gangwechsel erkannt wird, passt der Anzug das Timing seines Aktionsprofils automatisch an, um den jeweils anderen Gang optimal zu unterstützen“.
Vielversprechender Prototyp
Welchen Effekt die Unterstützung hat, zeigten die Forscher durch Tests mit Probanden. Demnach verringert der Roboteranzug die Stoffwechselrate beim Gehen um 9,3 Prozent und beim Rennen um vier Prozent. Wie sie erklären, sind diese Wirkungen vergleichbar mit einem Ablegen von Gewichten von 7,4 beziehungsweise 5,7 Kilogramm. Außerdem erwies sich das Gerät als vergleichsweise flexibel und praktisch: „Wir waren erfreut zu sehen, dass der Anzug auch beim Bergaufgehen, bei unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten und bei Tests im Freien mit holprigem Untergrund eine gute Leistung erbringt. Wir konnten somit die Vielseitigkeit des Systems verdeutlichen“, sagt Walsh.
Wie er und seine Kollegen betonen, handelt es sich bei dem Gerät nun zunächst um einen Prototyp. „Wir haben gezeigt, dass ein Roboteranzug mehr als nur eine einzelne Gangart unterstützen kann“, so Walsh. Das Team widmet sich nun der Optimierung aller Aspekte der Technologie: Sie wollen die Leistung steigern, das Gewicht weiter reduzieren und die Benutzerfreundlichkeit verbessern. „Wir hoffen, das System in einer Reihe von Anwendungen einsetzen zu können, einschließlich der Unterstützung von Personen mit Gehbehinderungen oder wenn extreme Körperleistungen gefragt sind“, sagt Walsh.
Quelle: Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering at Harvard, Science, doi: 10.1126/science.aav7536