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Mehr Flops für Deutschland

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Mehr Flops für Deutschland
Dieser Tage nimmt in Jülich der schnellste Supercomputer Europas seinen Betrieb auf. Spitzenforschung ist ohne Spitzenrechner nicht möglich.

Wie schliessen sich einfache Aminosäuren zu langen Peptidketten zusammen? Dominik Marx, Professor für Theoretische Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, gelang es 2008, diese Frage zu beanworten. Seine Arbeit blieb in der Öffentlichkeit jedoch weitgehend unbeachtet – obwohl sie nichts weniger als die Entstehung des Lebens erklären könnte. Denn Marx und sein Team stellten die Bedingungen nach, die an vulkanischen Schloten tief in den Urmeeren der noch jungen Erde herrschten. Sie bewiesen, dass komplexe Biomoleküle auf rein chemischem Weg, ganz ohne Synthesemaschine in Zellen, und noch dazu in erstaunlich kurzer Zeit entstehen können.

Dass diese Erkenntnisse nicht mehr Aufsehen erregten, lag wohl daran, dass die Bochumer Forscher für ihre Experimente keinen spektakulären künstlich erschaffenen Urozean nutzten. Das „ Experiment” lief stattdessen in drögen schwarzen Schränken ab. 16 Stück davon stehen in einer frostig klimatisierten Halle am Forschungszentrum Jülich und addieren oder multiplizieren Zahlen – und das in unvorstellbarer Geschwindigkeit: 220 Billionen Mal in jeder Sekunde. JUGENE (Jülicher Blue Gene) ist der schnellste Supercomputer Europas und bald auch einer der schnellsten der Welt. Denn in diesen Tagen erhält er Verstärkung durch weitere 56 Schränke, die die Rechenleistung auf über ein Petaflop (eine Billiarde Rechenschritte pro Sekunde) schrauben.

Das kostet, zusammen mit der nötigen Infrastruktur, einen größeren zweistelligen Millionenbetrag – viel Geld, das in den Augen der Forscher aber gut angelegt ist. Denn Supercomputer simulieren nicht einfach bloß bekannte Phänomene immer schneller. Sie stellen vielmehr die Grundregeln der Wissenschaft in Frage. Computersimulationen sind der dritte Pfeiler des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, neben Theorie und Experiment – das bestätigen heute alle Naturwissenschaftler. Tatsächlich greift der Umbruch tiefer: Ohne Simulation sind bestimmte Wissenschaftsdisziplinen gar nicht mehr denkbar, Simulationen dominieren immer mehr Richtung und Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts.

Wettlauf um die meisten Artikel

Das hat Konsequenzen für die Förderpolitik. Wo bisher der Wettlauf um den größten Teilchenbeschleuniger oder das schärfste Teleskop die Leistungsfähigkeit einer Forschungsnation dokumentierten, ist es heute die Summe der Petaflops, mit der sich Politiker brüsten. Wissenschaftlern sind die unvorstellbar hohen Geschwindigkeiten aber nur Mittel zum Zweck. Für Thomas Lippert, Direktor des Jülich Supercomputing Centres am Forschungszentrum, ist dieser Zweck glasklar: „Entscheidend sind die Veröffentlichungen bahnbrechender Arbeiten in den wichtigen Fachzeitschriften.” Und da nehmen Arbeiten, die auf Simulationen beruhen, immer mehr zu. Die Veröffentlichungen, etwa zu Projekten am Superrechner des Forschungszentrums Jülich, dienen als Nachweis für die Stärke des Forschungsstandorts Deutschland. Das ist wichtig, weil sich junge Starforscher sehr genau überlegen, wo sie die besten Arbeitsbedingungen vorfinden. Supercomputer sind da mittlerweile ein wichtiges Pfund in der Waagschale. Sie können die Abwanderung von Spitzenforschern stoppen und sogar renommierte Forscher aus dem Ausland herlocken, auch aus den USA. Dort stehen laut der zweimal im Jahr und zuletzt im November 2008 veröffentlichten Top500-Liste immer noch die schnellsten Supercomputer. Die Superrechner in den USA leisten mit 58 Prozent mehr als alle anderen Maschinen der Liste zusammen.

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China überholt Deutschland

In den letzten Jahren ist Deutschland in diesem Wettlauf ins Hintertreffen geraten. Immer weniger deutsche Supercomputer standen in der Bestenliste, zuletzt nur noch fünf Prozent der gesamten Top500-Rechenleistung. Auch im Vergleich zu den europäischen Nachbarn fiel Deutschland zurück. Sogar China reihte sich in der aktuellen Liste auf Platz 10 und damit einen Rang vor JUGENE ein. Ein Grund war die hierzulande zeitweise starke Konzentration auf das Grid Computing und auf die damit verbundene Hoffnung, höchste Rechenleistung durch Kombination vieler Computer über schnelle Datennetze hinweg zu erzielen. Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Daher setzt Deutschland wieder verstärkt auf Megarechner. Doch Thomas Lippert warnt: „Die Top500-Liste allein ist irrelevant.” Entscheidend für eine Spitzenposition im globalen Wettlauf sei nicht die reine Rechenleistung, sondern die Qualität der Forschungsfragen, die damit bearbeitet würden – und die Unterstützung der Wissenschaftler bei deren Umsetzung in effiziente Algorithmen.

„Ein Supercomputer ist ein Hochleistungsrechner, der zum Zeitpunkt seiner Einführung im obersten realisierbaren Leistungsbereich arbeitet”, lautet die Definiton des Begriffes in Wikipedia. Weil sich dieser Leistungsbereich dank des technischen Fortschritts immer weiter hochschraubt, ist ein Supercomputer von heute schon morgen nicht mehr super, sondern nur noch schnell. Aus der Sicht der Nutzer gibt es kein Limit – sie haben bereits Simulationen in der Schublade, für die schon künftige Supercomputer zu langsam sind. „Unser Bedarf an Rechenleistung ist nie zu stillen”, sagt der Bochumer Chemiker Dominik Marx, der auf dem Jülicher Superrechner die Entstehung des Lebens nachvollzog. Für seine Simulation benötigte er vier Monate Rechenzeit auf 2000 Prozessoren des JUGENE-Vorgängers JUBL – das ist Weltrekord. Herz der Simulation ist ein Algorithmus, den italienische Forscher Mitte der 1980er-Jahre publizierten und der seither von vielen Forschern weiterentwickelt wurde. Das sei nötig, sagt Marx, weil der Code immer an den zur Verfügung stehenden Supercomputer angepasst werden muss. Ein veralteter Algorithmus würde selbst den schnellsten Rechner zur lahmen Ente auf PC-Niveau degradieren.

Rund 200 Forscherteams mit exzellenter wissenschaftlicher Fragestellung erhalten Zugriff auf den neuen Jülicher Supercomputer JUROPA: einen Universalrechner, dessen Architektur von unterschiedlichen Anwendungen wie Klima- oder Proteinforschung voll ausgenutzt werden kann. Neben dem neuen Rechenmonster stehen in der Halle des Jülicher Supercomputer-Zentrums noch andere Computer. Denn je weiter man die Leistungsgrenzen nach oben schiebt, umso mehr zeigt sich, dass nicht jeder Supercomputer für alle Aufgaben gleich gut geeignet ist.

Nur Petaflops sind gut genug

Die Diversifizierung der Computerarchitekturen wird noch zunehmen. Sie folgt der Entwicklung, die die Experimentatoren mit ihren immer besser ausgefeilten Messmethoden im Labor vorgemacht haben. „Spezielle Forschungsgebiete brauchen in Zukunft spezielle Rechner”, sagt Lippert und prophezeit: „Schon 2010 wird man in bestimmten Einzelwissenschaften wie der Teilchenphysik Petaflop-Rechner benötigen, um bei der Qualität der Forschungsergebnisse international wettbewerbsfähig bleiben zu können.” Weil ein Supercomputer-Zentrum das für eine führende Forschungsnation kaum allein leisten kann, haben sich die drei Höchstleistungsrechenzentren in Jülich, München und Stuttgart zum Gauss-Zentrum für Supercomputing zusammengeschlossen. Sie verfolgen unterschiedliche Strategien: Während die Jülicher eine Architektur mit sehr vielen parallel rechnenden, relativ langsamen Prozessoren bevorzugen, setzt das Stuttgarter Höchstleistungsrechenzentrum auf Vektorrechner. Die kommen mit weniger, aber dafür stärkeren Prozessoren aus und haben Vorteile bei ingenieurwissenschaftlichen Fragen wie der Berechnung von Strömungsvorgängen.

Doch jeder Supercomputer ist nur so stark wie die Algorithmen, die darauf laufen. Die Erweiterung von JUGENE zum Petaflop-Rechner macht die bisherigen Rechnungen nicht nur fünfmal so schnell, sondern erfordert optimierte Algorithmen, die qualitativ neue Ergebnisse in Aussicht stellten. So können erst Supercomputer aus komplexen Theorien Aussagen ableiten, die sich experimentell bestätigen oder widerlegen lassen. Paradebeispiel ist die Stringtheorie, die nach Meinung der Physiker das Potenzial hat, sämtliche Bausteine der Materie sowie die vier Grundkräfte der Natur in einer Theorie zusammenzufassen – einer „ Weltformel”. Doch die komplizierte Theorie ist experimentell nicht greifbar. Nur Supercomputer können da helfen. „Sie werden vermutlich in den nächsten zehn Jahren die Grundlage für die Entscheidung schaffen, ob die Stringtheorie ernst zu nehmen oder nur ein Hirngespinst ist”, sagt Lippert. ■

Bernd Müller, Journalist in Esslingen, hat auch aufgerüstet: Seit seiner letzten Supercomputer-Story verdoppelte er die Leistung seines PCs.

von Bernd Müller

Rasante Beschleunigung

Die Leistung der jeweils schnellsten Rechenmaschinen hat sich in den letzten Jahrzehnten ständig verbessert. Heute erledigen Supercomputer ihre Aufgaben mehrere Billionen Mal so rasch wie die Rechner in den 1940er-Jahren. Seit den 1980er-Jahren hat sich der Zuwachs an Rechenleistung sogar beschleunigt. Die leistungsfähigsten Maschinen standen fast immer in den USA. Während die immense in den Vereinigten Staaten installierte Rechenleistung im Kalten Krieg zum Großteil für militärische Zwecke genutzt wurde, dient sie heute zu rund 70 Prozent zivilen Zwecken – Tendenz steigend.

Kompakt

· Die Rechenleistung von JUROPA ist fünfmal so groß wie die seines Vorgängers.

· Jede neue Generation von Supercomputern erfordert neue Rechenalgorithmen.

· Investitionen in Superrechner sollen den Forschungsstandort Deutschland stärken.

Mehr zum Thema

Internet

Jülich Supercomputing Centre: www.fz-juelich.de/jsc

Gauss-Zentrum für Supercomputing: www.gauss-centre.eu

Aktuelle Top500-Liste der Superrechner: www.top500.org

Steckbrief: JUROPA

Typ IBM Blue Gene/P (72 Racks) Rechenleistung 1 Petaflop (1 Billiarde Rechenoperationen pro Sekunde, entsprechend etwa 50 000 PCs) Prozessoren 294 912 (PowerPC 450 mit 850 Megahertz) Hauptspeicher 144 Terabyte Festplattenspeicher 6 Petabyte (über eine Million DVDs) Leistungsaufnahme 2,2 Megawatt

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