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Mettbrötchen und Müllabfuhr

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Mettbrötchen und Müllabfuhr
In den Labors des DLR entstehen Raumfahrt- systeme, um fremde Himmelskörper zu erkunden, künftige Astronauten mit Nahrung zu versorgen oder den Schrott im Weltall aufzuräumen.

Hektisch flickt Christian Grimm ein abgerissenes Kabel, das aus einer mannshohen Kapsel lugt. Gleich soll sie 110 Meter im freien Fall zu Boden stürzen – durch die Röhre des Bremer Fallturms. An Bord der Kapsel: das Modell eines Landegeräts namens Mascot und sein neuartiger Ausklink-Mechanismus. In einigen Jahren soll er in einem spektakulären Manöver auf einem fernen Asteroiden landen. Das Ausklinken will das Team vom DLR-Institut für Raumfahrtsysteme nun unter den realitätsnahen Bedingungen der Schwerelosigkeit testen, deshalb der freie Fall im Turm. Doch die Experten sind nervös. Ein Test am Vortag ist misslungen. Der nächste Versuch soll zeigen, ob der Mechanismus doch funktioniert.

Mascot ist eines von zahlreichen Raumfahrt-Projekten der Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Das Forschungszentrum beteiligt sich an Sonden, die das Sonnensystem erkunden. Es testet Raketentriebwerke, bestückt Umweltsatelliten mit Spezialsensoren und feilt an Strategien, wie man gefährlichen Weltraumschrott aus dem Orbit entfernen kann. Und es liefert Vorarbeiten für bemannte Raumschiffe, die eines Tages zu Mond oder Mars aufbrechen könnten, um dort bewohnbare Stationen zu gründen.

In Bremen hat Christian Grimm das Kabel repariert. Nun bugsiert ein Kran die Kapsel in den Turm. Dort zieht eine Winde sie in die Höhe, und Pumpen evakuieren anschließend den Turm. Zwei Stunden dauert die Prozedur, dann startet der Countdown für den Fallversuch. Mascot ist ein Teil der japanischen Hayabusa-II-Mission. Ende 2014 soll die Sonde starten, um sich nach vier Jahren Flugzeit dem Asteroiden 1999 JU3 zu nähern.

Zunächst wird Hayabusa den 500 Meter großen Felsbrocken kartografieren, dann tritt Mascot in Aktion: Der würfelförmige, schuhkartongroße Roboter soll zum Asteroiden herabsinken und ihn im Detail inspizieren. Dazu dienen vier Sensoren: Eine Weitwinkelkamera fotografiert die Oberfläche des Asteroiden, ein Radiometer erfasst die Temperatur. Ein Magnetometer misst das Magnetfeld, ein Infrarot-Mikroskop analysiert die Zusammensetzung von winzigen Partikeln. „Um mehrere Stellen zu erreichen, kann sich Mascot auf dem Asteroiden bewegen“, sagt Projektleiterin Tra-Mi Ho. Eine Schwungmasse im Inneren beschleunigt den Roboter, bremst ihn abrupt ab und bringt ihn zum Hüpfen – wie ein Würfel, der sich selber wirft.

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Der heikelste Moment ist das Ausklinken aus der Muttersonde 100 Meter über dem Asteroiden. Eine Feder soll Mascot sanft herausdrücken. „Bleibt der Roboter dabei hängen, ist die Mission vorbei“, sagt Grimm. Genau das war beim ersten Test im Fallturm passiert. Die Forscher haben daraufhin die Konstruktion geändert, jetzt warten sie im Kontrollraum gespannt auf den nächsten Versuch. Grimm zählt den Countdown, dann fällt die Kapsel binnen fünf Sekunden abwärts und rauscht in das Bremsbecken voller Styroporkugeln. Grimm blickt auf den Monitor: „Man sieht wunderbar, wie das Modul langsam aus der Halterung herausgedrückt wird“, sagt er erleichtert. „Alles ist gelaufen wie geplant.“

Auf 1999 JU3 wird Mascot nur ein kurzes Leben beschert sein – nach 16 Stunden ist seine Batterie leer. Immerhin zwei volle Asteroidentage lang wird er Daten sammeln und zu Hayabusa II funken. Die Muttersonde soll später zur Erde zurückkehren – im Gepäck Asteroidenstaub, den die Sonde aus der Höhe einzusammeln versucht. „Von der Mission erhoffen wir uns neue Details über die Entstehung des Sonnensystems“, erklärt Projektleiterin Tra-Mi Ho. „Denn vermutlich birgt der Asteroid noch Material, das seit seiner Geburt unverändert ist.“ Womöglich finden sich auch Spuren von organischen Verbindungen. Das würde die These stützen, dass die ersten Bausteine des Lebens durch Asteroiden auf die Erde kamen.

Komposter für Raumschiffe

Andere DLR-Experten wollen es nicht bei unbemannten Missionen belassen. Sie träumen davon, eines Tages Menschen zu anderen Planeten und Monden zu schicken. Das Problem bei bemannten Raummissionen: Es wäre ziemlich aufwendig, sämtliche Nahrung im Raumschiff mitzuschleppen. Deshalb suchen die Wissenschaftler nach Alternativen und entwickeln Gewächshäuser für Raumschiffe. Das Team um Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln tüftelt an einem Nasskomposter-System: „ C.R.O.P.“ (Combined Regenerative Organic-Food Production) soll Bioabfälle in wertvolle Pflanzennahrung umwandeln.

„Es funktioniert ähnlich wie ein Aquarienfilter, also mit Wasser statt mit Erde“, erklärt der Botaniker. Eine Pumpe spült Wasser über Lavagestein – ein Lebensraum für mehr als 80 Mikrobenarten. Die Mikrobengesellschaft fungiert als effektiver Abfallverwerter, der Pflanzenabfälle, Gülle und Urin in nitrathaltigen Flüssigdünger verwandelt. „Wir haben unseren Prototypen mit einem alten Mettbrötchen gefüttert“, erzählt Hauslage. „Nach zweieinhalb Tagen war das Mettbrötchen komplett verschwunden!“

Ihren größten Versuchsaufbau haben die Wissenschaftler im Forschungsgewächshaus „:agrohort“ in Bonn aufgestellt. Die Anlage arbeitet mit 800 Liter Wasser und 250 Liter Rotlava. Innerhalb von drei Monaten kann sie 120 Kilogramm Bioabfall verwerten – gehäckselten Kohl, faule Äpfel, die Blätter von Tomatenpflanzen. Mit dem nährstoffhaltigen Wasser aus der Anlage lassen sich die Pflanzen düngen. Das langfristige Ziel ist ein geschlossenes System, das aus den eigenen Abfällen Dünger für die nächste Pflanzengeneration erzeugt. Im Idealfall ließen sich damit Lebensmittel ganz ohne Kunstdünger gewinnen.

Zuvor aber könnte der Biofilter auf der Erde zum Einsatz kommen, etwa um Gülle in ein nitrathaltiges Düngesalz zu verwandeln. „Dann müssten Bauern keine stinkende Gülle mehr auf ihre Felder spritzen, sondern könnten geruchsneutrales Salz ausbringen“, sagt Jens Hauslage. „Das wäre effektiver und weniger schädlich für Boden und Umwelt.“

Für bemannte Reisen zu fernen Planeten müssen neben erneuerbaren Nahrungsquellen auch Methoden zum Erhalt der körperlichen und geistigen Gesundheit der Astronauten her. In der neuen DLR-Forschungsanlage „:envihab“ in Köln werden die extremen Bedingungen im All simuliert. Das ermöglicht den Wissenschaftlern, deren Auswirkungen zu untersuchen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Probanden bekommen hier unter anderem die Effekte niedrigen atmosphärischen Drucks, psychischer Belastung durch Isolation und längerfristiger Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu spüren. Die Forscher hoffen, daraus neue Erkenntnisse zur Vorbeugung gegen typische Astronautenprobleme zu gewinnen, etwa Muskel- und Knochenabbau, Müdigkeit und psychische Folgen der Isolation und der Schwerelosigkeit.

Um ein Problem anderer Art geht es bei dem DLR-Projekt Deos. Im Erdorbit tummeln sich immer mehr ausrangierte Satelliten und ausgebrannte Raketenstufen. Um dem All-Abfall aus dem Weg zu gehen, müssen aktive Satelliten und auch die Internationale Raumstation ISS regelmäßig Ausweichmanöver fliegen. Dennoch drohen Kollisionen: So stieß 2009 der US-Kommunikationssatellit Iridium 33 mit einem alten russischen Militärtrabanten zusammen. „ Es gibt Handlungsbedarf“, sagt Alin Albu-Schäffer, Direktor des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen. „ Deshalb versuchen wir mit Deos, gefährliche Satelliten aus ihrem Orbit zu lenken und gezielt abstürzen zu lassen.“

Satelliten am SchlaFittchen

Der Plan: Von der Erde startet ein Spezialsatellit und nähert sich seinem Ziel bis auf wenige Meter. Dann tritt das Herzstück von Deos in Aktion: ein drei Meter langer Roboterarm, der sich den Schrottsatelliten greift. Anschließend zündet Deos seine Steuerdüsen und befördert das Hindernis aus der Schusslinie – bis zu einer Bahn, auf der das Duo in die Atmosphäre eintritt. Das meiste Material verglüht, der Rest stürzt auf unbewohntes Gebiet, etwa in den Pazifik.

Die Herausforderung: Die defekten Satelliten lassen sich meist nicht mehr steuern und taumeln ziellos durchs All. Um die Störenfriede dennoch zielsicher zu greifen, haben die Experten des DLR einen Roboterarm mit Feingefühl entwickelt. Er besitzt Sensoren, die nicht nur Positionen messen, sondern auch Kontaktkräfte und Drehmomente. Die Folge: Sobald der Arm etwas berührt, bremst er ab oder hält ganz inne. Die Technik kommt bereits in einer neuen Generation von Industrierobotern zum Einsatz.

„Wir können unseren Roboter so programmieren, dass er sich nachgiebig verhält wie ein menschlicher Arm“, sagt Albu-Schäffer. Damit soll er sich im All präzise an sein Ziel herantasten – eine geeignete Greifstelle am Schrottsatelliten. Bis 2011 waren zwei Armgelenke auf der ISS montiert, die sich im Dauerbetrieb bewährten. Der nächste Schritt ist die für 2017 vorgesehene Deos-Raummission: Ein Zielsatellit wird ein Stück Weltraumschrott simulieren, das ein Fangsatellit greifen und festhalten soll. Bewährt sich das Konzept, könnte das nächste Ziel der „kosmischen Müllabfuhr“ der ESA-Satellit Envisat sein – ein seit 2012 ausgedienter Neun-Tonnen-Klotz, der eine Gefahr für andere Trabanten darstellt.

Im Prinzip ließe sich der Roboterarm des DLR auch für einfache Weltraum-Reparaturen nutzen. „Mit Deos wollen wir einige Montageschritte ausprobieren, etwa das Betanken eines Satelliten“ , sagt Alin Albu-Schäffer. Gelingt das, ließe sich die Lebensdauer manch eines Trabanten deutlich verlängern. (

von Frank Grotelüschen

Kompakt

· Bioabfälle sollen Salat und Gemüse in Raumschiffen wachsen lassen.

· Im Labor lässt sich die Wirkung von Raumflügen auf den Körper erkunden.

· Ein feinfühliger Greifarm hilft beim Beseitigen von Satelliten-Müll.

Anja Frank, Luft- und Raumfahrtingenieurin

Laut knarzt die Durchsage: „Achtung! Eine-Minuten-Warnung am Prüfstand P8.“ Ein dumpfes Rauschen ertönt im weitläufigen Gelände mitten im Wald – der Test eines Forschungstriebwerks. Anja Frank lächelt: „Das ist zahm. Wenn der große Teststand losgeht, ist es noch viel lauter.“ Die Ingenieurin arbeitet am DLR-Institut für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen, gut 20 Kilometer nordöstlich von Heilbronn. Hier stehen die größten Raketen-Teststände Europas, geleitet von Anja Frank. Die 42-Jährige bleibt vor ihrer gewaltigsten Anlage stehen – P5, ein 65 Meter hoher Klotz. Hier wird Vulcain 2 getestet, das Haupttriebwerk der Ariane 5: vier Millionen PS, 130 Tonnen Schub.

Gerade herrscht Hochbetrieb. Die Experten bauen ein Triebwerk aus, mit dem sie zuvor technische Verbesserungen getestet haben. „ Vor einem Versuch wird der Prüfstand weiträumig abgesperrt“, berichtet Anja Frank. „Wir steuern ihn von einem Bunker aus, der sicher unter einem Erdhügel liegt.“ Zündet das Triebwerk, messen Hunderte von Sensoren Druckwerte, Temperaturen, Vibrationen und Kräfte. Damit es nicht abhebt, ist das Aggregat festgeschraubt. Sein Abgas, 3500 Grad Celsius heißer Wasserdampf, zischt mit Mach 5 (der 5-fachen Schallgeschwindigkeit) durch ein wassergekühltes Leitrohr und steigt in den Himmel auf, um später als Regen auf die Umgebung niederzugehen. Zwölf Minuten dauert ein typischer Versuch.

Seit 1997 arbeitet die Ingenieurin in Lampoldshausen. „Schon mein Vater war hier als Prüfstandsmeister beschäftigt, ich bin also erblich vorbelastet“, schmunzelt sie. Zunächst leitete Frank selbst die Versuche. Jetzt, als Abteilungsleiterin, managt sie den Gesamtkomplex. „Da ist viel zu organisieren, aber bei spannenden Tests schleiche ich mich manchmal in den Kontrollraum, um mit dabei zu sein.“

Besonders interessant sind die Versuche am Prüfstand P4: Dort wird das neue Vinci-Triebwerk für die Ariane-Oberstufe getestet. Es ist mehrfach zündbar und soll dafür sorgen, dass die Rakete pro Flug mehr Satelliten als bislang in den Orbit bringt. Doch die Tests sind anspruchsvoll: Da die Oberstufe erst im All zündet, sollten auch die Tests im luftleeren Raum stattfinden. Daher kann P4 annähernd Weltraumbedingungen simulieren. Das Triebwerk steckt in einer Vakuumkammer mit wuchtigen Wänden und Türen. Damit sich das Abgas nicht darin staut, haben die Fachleute ein raffiniertes Abpumpsystem entwickelt.

„Auf unsere Ergebnisse warten Hunderte Experten in Europa“, sagt Anja Frank. Deshalb fliegt bei jedem Ariane-Start auch Ingenieurstolz aus Lampoldshausen mit. Eine Erfahrung aber fehlt Anja Frank bislang: ein Start am Weltraumbahnhof Kourou. Sie lacht: „Daran arbeite ich noch.“

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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