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Radar-Gerät statt Stethoskop

Technik|Digitales

Radar-Gerät statt Stethoskop
Berührungslos erfasst das Radar die Herzfunktion. (Bild: FAU/Kilin Shi)

Neben dem weißen Kittel ist es das wichtigste Markenzeichen der Ärzte – das Stethoskop. Doch möglicherweise könnte seine Bedeutung bald schwinden. Deutsche Forscher haben ein Verfahren entwickelt, das Herztöne per Radar erfassen und aufzeichnen kann. Es bietet gegenüber dem traditionellen Stethoskop einige Vorteile und könnte auch in der Intensivmedizin zum Einsatz kommen, sagen die Wissenschaftler.

Bum, bum, bum… Beim klassischen „Abhorchen“ durch ein Stethoskop werden Schwingungen der Körperoberfläche auf eine Membran im Kopf des Stethoskops übertragen und an die Ohren des Untersuchenden geleitet. Bereits seit rund 200 Jahren nutzen Ärzte dieses vergleichsweise einfache, aber effektive Konzept zur Untersuchung der Herzfunktion. Doch das ehrenwerte Konzept hat Nachteile: Die Diagnose von Herzgeräuschen erfolgt subjektiv und ist stark von der Erfahrung des Arztes abhängig. Zudem werden die Geräusche bei der sogenannten Phonokardiologie nicht aufgezeichnet und lassen sich dadurch nicht objektiv auswerten. Außerdem handelt es sich auch um ein Verfahren mit Kontakt. Es ist in diesem Zusammenhang bekannt, dass Ärzte durch nicht ausreichend desinfizierte Stethoskope Erreger verbreiten können. Vor diesem Hintergrund zeigt nun das Verfahren der Forscher von der Universität Erlangen-Nürnberg das Potenzial von Radar-Verfahren für die Untersuchung der Herzfunktion auf.

Wie beim Verkehrsüberwachungsradar – nur feiner

Wie die Wissenschaftler erklären, basiert ihr Konzept auf dem sogenannten Sechstor-Dauerstrich-Radarsystem. „Wir bedienen uns im Grunde einer ähnlichen Methode, die auch bei der Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr zum Einsatz kommt“, erklärt Christoph Will, vom Lehrstuhl für Technische Elektronik der Universität Erlangen-Nürnberg. „Dabei wird eine Radarwelle auf die Oberfläche eines Objektes gerichtet und reflektiert. Bewegt sich das Objekt, ändert sich die Phase der reflektierten Welle. Daraus errechnen wir dann die Stärke und Frequenz der Bewegung – in unserem Fall des Brustkorbs“, erklärt Will.

Im Unterschied zum Verkehrsüberwachungsradar ist das biomedizinische Radarsystem allerdings in der Lage, Bewegungsänderungen im Bereich weniger Mikrometer zu erfassen, die durch den Herzschlag auf der Körperoberfläche verursacht werden. Dies ist die grundlegende Voraussetzung dafür, mit dem Konzept selbst kleinste Anomalien bei der Herzfunktion zu diagnostizieren, beispielsweise Insuffizienz, Stenosen oder nicht korrekt schließende Herzklappen.

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Ob das System auch hält, was es verspricht, haben die Forscher im Rahmen von Experimenten getestet. Die Probanden wurden dazu in verschiedenen Aktivierungszuständen – in Ruhe, nach dem Sport – durch das Radarsystem untersucht und ihre Herztöne detektiert. Der direkte Vergleich des Verfahrens mit herkömmlichen Standardinstrumenten – einem digitalen Stethoskop und einem Elektrokardiografen (EKG) – belegten die Zuverlässigkeit und das Potenzial der Methode, berichten die Wissenschaftler.

Potenzial zeichnet sich ab

Sie sind überzeugt, dass mobile Radarsysteme schon in naher Zukunft eine Alternative zu den klassischen Stethoskopen bei der Diagnose der Herzfunktion bieten könnten. Wie sie betonen, ist ein großer Vorteil des Radars, dass die Messungen digital erfolgen und somit objektiv ausgewertet werden können. Die Bedeutung der „Fehlerquelle“ Mensch bei der Diagnose von Anomalien oder Krankheiten wird somit eingeschränkt. Vorstellbar sei auch, biomedizinische Radarsysteme eines Tages für automatisierte prophylaktische Untersuchungen etwa in Wartezimmern von Arztpraxen, in Arbeitsumgebungen oder auch zuhause einzusetzen.

Eine weitere vielversprechende Eisatzmöglichkeit ist den Forschern zufolge die Überwachung schwerkranker Menschen: Die Wissenschaftler arbeiten bereits daran, die Vitalfunktionen von Intensiv-Patienten mittels stationärer Radarsysteme zu überwachen – ohne Verkabelungen und rund um die Uhr. „Ein berührungsloses und somit belastungsfreies Erfassen von Vitalparametern wie den Herztönen hat das Potenzial, die klinische Versorgung und die Forschung beispielsweise im Bereich der Palliativmedizin zu revolutionieren“, sagt Co-Autor Christoph Ostgathe vom Universitätsklinikums Erlangen. „Zum Beispiel könnten wir Angehörige bei Beginn der Sterbephase deutlich schneller informieren, weil Änderungen des Gesundheitszustandes vom Radar sofort erkannt werden. Auch das Erfassen leidvoller Symptome bei Patienten, die sich nicht äußern können, wird möglich“, sagt der Mediziner.

Quelle: Universität Erlangen-Nürnberg, Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-29984-5

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