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Sanfter durch Nummer 40

Erde|Umwelt Technik|Digitales

Sanfter durch Nummer 40
Chemiker träumen davon, Luftstickstoff unter weniger brachialen Bedingungen nutzbar zu machen als bisher. Zirkonium, das Element mit der Ordnungszahl 40, bietet eine Chance.

„Ohne dieses Verfahren würden etwa 40 Prozent der Menschen auf der Erde gar nicht existieren“, sagt Chemie-Professor Paul J. Chirik von der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York. „Vielleicht ist es das Wichtigste, was Chemiker jemals entwickelt haben.“ Chirik spricht vom „Haber-Bosch-Prozess“ – dem bislang einzigen Weg, um großtechnisch das gigantische Stickstoff-Reservoir der Erde zu erschließen: die Atmosphäre, die zu 78 Prozent aus gasförmigem Stickstoff (N2) besteht. Durch Reaktion von Wasserstoff mit Luftstickstoff stellt die chemische Industrie per Haber-Bosch-Prozess jährlich weltweit rund 130 Millionen Tonnen Ammoniak (NH3) her, eine der zehn meistproduzierten Chemikalien der Welt.

Ammoniak ist die Rohstoffbasis zur Herstellung von Nitrat-Dünger – und damit für ausreichend Nahrung für die Menschheit. „Die Weizenernte der Welt hängt von Chiles Salpeter-Lagerstätten ab“, mahnte 1898 der britische Wissenschaftler Sir William Crookes: „Wenn es nicht gelingt, in großen Mengen Stickstoffdünger zu produzieren, wird in 20 bis 30 Jahren eine große Hungersnot über die Welt kommen. Es ist der Chemiker, der der bedrohten Welt zu Hilfe kommen muss.“

Gleich mehrere Chemiker hörten den Hilferuf. Carl von Linde entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts einen Weg, um Stickstoff von den anderen Luftbestandteilen zu trennen. Fritz Haber gelang im Jahr 1909 die Reaktion von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak, an einem Katalysator aus Osmium. Carl Bosch übertrug Habers Reaktion aus dem Labor auf großtechnische Anlagen und ersetzte den Osmium-Katalysator durch preiswerteres Eisen. Seitdem ist die Welt nicht mehr auf chilenischen Guano angewiesen. Der auf chemischem Syntheseweg nutzbar gemachte Stickstoff wandert aus dem Dünger in die Biomasse der angebauten Pflanzen und von dort aus – entweder direkt oder auf dem Umweg über Tierfutter und Fleischverzehr – in den menschlichen Organismus. Etwa jedes zweite Stickstoff-Atom in unserem Körper ist irgendwann per Haber-Bosch-Verfahren der Atmosphäre entrissen worden.

Doch der gepriesene Chemie-Prozess hat einen Haken: Er arbeitet mit roher Gewalt. Rund 500 Grad Celsius und mehr als den 100fachen Atmosphärendruck müssen die gigantischen Stahlreaktoren aushalten, in denen der reaktionsträge Stickstoff zur Verbindung mit Wasserstoff gezwungen wird. Entsprechend hoch ist der Energieverbrauch: Die Ammoniak-Produktion à la Haber-Bosch frisst ein Prozent der weltweit erzeugten Energie.

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Seit Jahrzehnten suchen Chemiker nach energiesparenden Alternativen. Seine offene Bewunderung für den Haber-Bosch-Prozess hat Paul Chirik nicht gehindert, ihm engagiert Konkurrenz zu machen. Zusammen mit seinem Kollegen Jaimie A. Pool präsentierte er Anfang 2004 im Fachblatt „Nature“ eine mögliche Alternative: Er hat eine Methode entwickelt, Stickstoff-Moleküle bei nur 85 Grad Celsius und normalem Atmosphärendruck mit Wasserstoff zu Ammoniak umzusetzen. Herzstück des Vorgangs ist das Edelmetall Zirkonium, das chemische Element mit der Ordnungszahl 40. Seine Aktivatoren-Rolle entfaltet es allerdings nur als Teil einer Komplex-Verbindung (so nennen Chemiker lose Assoziate aus mehreren Komponenten): Zwischen zwei Ringen aus je fünf Kohlenstoff-Atomen steckt jeweils ein Zirkonium-Atom – wie eine Olive zwischen Sandwich-Scheiben.

An das zentrale Metall-Atom lagert sich während der Reaktion jeweils eines der hantelförmigen Stickstoff-Moleküle an – und zwar so, dass das Zirkonium quasi den Hantelstiel touchiert. Das war unvorhersehbar, reines Glück, meint Chirik: „Wenn das N2-Molekül nur mit einem Ende an das Zirkonium binden würde, ließe sich die Bindung zwischen den beiden Stickstoff-Atomen nicht zerreißen. Nur weil es sich seitlich an das Metall anlagert, wird die Bindung geschwächt.“ Offenbar hinreichend, um ein kleines Wunder zu bewirken und dem trägen Stickstoff die Sporen zu geben: „Als wir Wasserstoff zugaben und ein bisschen erwärmten, entstand Ammoniak.“

Das klingt perfekt – indes: „Chiriks Ammoniaksynthese ist leider nicht katalytisch“, bedauert Michael D. Fryzuk. Er ist Chemie-Professor an der University of British Columbia in Vancouver und ein renommierter Spezialist für die Aktivierung von Stickstoff. Fryzuk erläutert: Um jetzt bereits technisch nutzbar zu sein, müsste das aktivierende Zirkonium-Sandwich unversehrt bleiben – beim Haber-Bosch-Verfahren übernimmt ein Eisen-Katalysator diese Rolle des „Heiratsvermittlers“. In Chiriks Fall sollte das Zirkonium-Sandwich, sobald der entstandene Ammoniak sich davon löst, ein neues Stickstoff-Molekül anlagern können, damit die Ammoniakbildung weiterläuft.

Tatsächlich ist es aber ,angebissen‘ und muss erst wieder regeneriert werden. „Pro Zirkonium-Atom entsteht lediglich ein Ammoniak-Molekül. Das ist viel zu teuer“, gibt auch Chirik zu. Fryzuk findet die Leistung des Kollegen dennoch beachtlich: Auf ihrer Basis lässt sich möglicherweise ein maßgeschneiderter Zirkonium-Katalysator entwickeln, der großtechnisch einsetzbar sein könnte.

Chiriks Ansatz ist nicht der einzige. So gelang Prof. Richard R. Schrock, Chemiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT), unter Umgebungstemperatur und -druck mit einem Molybdän-Katalysator die Ammoniaksynthese. Mehrere Gruppen von Forschern haben an Eisen-Titanoxid-Oberflächen unter Bestrahlung mit Licht Stickstoff zu Ammoniak umgesetzt. Und griechische Wissenschaftler haben ein elektrochemisches Verfahren vorgestellt, mit dem sie Stickstoff aktivieren konnten. Eine Forschergruppe aus Japan nutzt zu demselben Zweck Fullerene – Moleküle aus 60 Kohlenstoff-Atomen in Form eines Fuß- balls –, die in zwei halbschalenförmigen Zuckermolekülen stecken.

Doch eines ist ihnen allesamt nicht gelungen: Den Schritt aus dem Labor schaffte bisher keine einzige Methode. Paul Chirik hält es generell für unwahrscheinlich, dass der sehr etablierte Haber-Bosch-Prozess jemals komplett verdrängt werden könnte. Er sieht aber die Möglichkeit von attraktiven Nischen.

Bisher laufen nämlich alle Synthesen vom Luftstickstoff über die Zwischenstufe Ammoniak zum eigentlichen Zielmolekül. Chirik hofft, irgendwann den direkten Weg zu finden – ohne Umweg über Ammoniak. Die von ihm eingeschlagene Route über das Element Nummer 40, das Zirkonium, kann der Königsweg dorthin sein. ■

Barbara Witthuhn

Ohne Titel

Das Element:

Name: Zirkonium, Kürzel: Zr

Ordnungszahl im Periodensystem: 40

Atomgewicht: 91,224

Dichte: 6,5 g/cm3

Schmelzpunkt: 1852 °C

Siedepunkt: 4377 °C

Eigenschaften: silbrig-weiß, weich

Jahres-Weltförderung: ca. 1 Mio. Tonnen (berechnet als Zirkon)

Mineralische Vorkommen:

Zirkoniumsilikat in Australien, Südafrika, Indien, USA, Ukraine; Zirkoniumdioxid in Brasilien, Sri Lanka und Südafrika

Verwendung:

Blitzlichter, korrosionsfeste Werkstoffe; im Hüllrohrmaterial für Brennstäbe in Kernkraftwerken; in Porzellan-Glasuren, Diamant-Imitaten, im „Drei-Wege-Kat“

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