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Streit um Einsteins Konstante

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Streit um Einsteins Konstante
Die Antigravitation – totgesagt und wieder aufgeweckt. Die kuriose Geschichte der kosmologischen Konstante begann 1917. Damals hatte Einstein sie eingeführt – sie aber später selbst als seine „größte Eselei“ verworfen. Seitdem kam die Konstante immer wieder ins Gespräch. Heute wird sie von manchen Astronomen benutzt, um das Altersproblem des Universums zu lösen.

Wenn die Physiker einen eigenen Feiertag bestimmen könnten, würden sie sicher den 4. November in Erwägung ziehen. An diesem Tag im Jahre 1915 trug Albert Einstein einem gespannten Publikum der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin seine Allgemeine Relativitätstheorie vor. Sie stellt eine der größten Kulturleistungen dar und läßt sich, wie Max Planck meinte, nur „an den Leistungen Johannes Keplers und Isaac Newtons messen“. Einsteins revolutionäre Theorie brach mit den alten Vorstellungen von Raum und Zeit.
Bei Newton war der Raum ein unveränderliches Gebilde, eine Kulisse, vor der sich alle Ereignisse in der Welt abspielen. Ebenso war die Zeit ein gleichmäßig dahingleitender Strom, „ohne Beziehung zu irgend etwas Äußerem“.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie bekamen die beiden Größen ein Eigenleben. Nach ihr krümmen die Schwerkraftfelder der Materie den Raum um sich herum und verlangsamen den Lauf der Zeit. Beide Eigenschaften widerstreben der menschlichen Intuition, doch sie konnten mittlerweile in zahlreichen Experimenten mit hoher Genauigkeit überprüft werden.

1917 unternahm Einstein den Versuch, mit seinen Gravitationsgleichungen das Universum zu beschreiben. Vereinfachend nahm er an, daß die gesamte Materie gleichmäßig im Weltall verteilt sei und so eine Raumkrümmung im Großen verursache. Sie sollte das Universum so stark verbiegen, daß es in sich geschlossen ist.

Das Einstein-Universum war vergleichbar mit einer Kugeloberfläche: Es war unbegrenzt, aber nur von endlicher Ausdehnung. Bei seinen Rechnungen stieß der große Physiker immer wieder auf ein merkwürdiges Phänomen: Er konnte die Lösungen drehen und wenden wie er wollte, stets zog sich der Raum zusammen oder dehnte sich aus. Es kam aber partout kein statisches Universum heraus.

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Damit sich aus den Gravitationsgleichungen das vermeintliche statische Universum ergeben konnte, griff Einstein zu einem Trick. Er fügte einen Zusatzterm ein, der wie eine Anti-Schwerkraft wirkte und gerade so gewählt wurde, daß er der Schwerkraft die Waage hielt. Er bezeichnete diese kosmologische Konstante mit dem griechischen Buchstaben Lambda, weswegen man heute auch manchmal vom Lambda-Glied in der Gleichung spricht.
Hierbei blieb es nun ein ganze Weile, zumal sich die von Einstein gefundenen Lösungen damals nicht durch Beobachtungen überprüfen ließen, bis der amerikanische Astronom Edwin P. Hubble 1929 entdeckte, daß sich die Galaxien, die sich als eigenständige, weit entfernte Welteninseln herausgestellt hatten, von uns fortbewegen, und zwar um so schneller, je weiter sie von uns entfernt sind. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis schließlich Beobachtung und Theorie zu einem einheitlichen, noch heute gültigen Weltbild verschmolzen. Demnach streben die Galaxien nicht aus eigenem Antrieb fort, sondern entfernen sich voneinander, weil der Raum sich ausdehnt.

Als auch Einstein von einem expandierenden Kosmos überzeugt war, soll er dem amerikanischen Astrophysiker George Gamow gegenüber die Einführung der kosmologischen Konstante als die größte Eselei seines Lebens bezeichnet haben.
Aus dem Wert dieser sogenannten Hubble-Konstante ließ sich zurückrechnen, wann das Universum in einem Punkt vereinigt und in einem Urknall entstanden sein mußte. Hubble kalkulierte ein Weltalter von zwei Milliarden Jahren. Das war zu wenig, denn die ältesten Sterne wurden rund hundertmal älter geschätzt.

Das Problem löste sich erst, als man feststellte, daß einerseits die Hubble-Konstante zu groß und somit das Weltalter zu gering eingeschätzt wurde.

Andererseits mußte man das Alter der Sterne wesentlich nach unten korrigieren. Die beiden Altersangaben näherten sich schließlich im Rahmen der Ungenauigkeiten genügend weit aneinander an, damit die kosmologische Konstante endgültig überflüssig wurde.

Kurioserweise sehen sich die Forscher heute in einer ähnlich unbequemen Lage wie vor 60 Jahren: Wenn es um das Alter des Universums geht, beziehen die Kosmologen Stellung in zwei unversöhnlichen Lagern. Die einen vertreten eine kleine Hubble-Konstante von 50, die anderen eine von 80. Berechnet man aus ihnen das Weltalter, so ergeben sich im ersten Fall 15 bis 20 Milliarden, im zweiten 8 bis 11 Milliarden Jahre (siehe „Der Streit um das Alter der Welt“, bild der wissenschaft 4/1995).
Der Streit um die Hubble-Konstante ist nach wie vor nicht entschieden, aber gerade die Beobachtungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop haben in den letzten zwei Jahren eher den großen Hubble-Wert, also das junge Universum, gestützt. Aus diesem Grund denken immer mehr Kosmologen darüber nach, ob ihr gewohntes Modell von der Entstehung und Entwicklung des Universums, in dem die kosmologische Konstante null ist – also gar nicht existiert – noch haltbar ist. Zwar zweifelt kaum jemand ernsthaft an der Urknalltheorie, aber wie sich das Universum nach dem Big Bang weiterentwickelt hat, wird zunehmend diskutiert. Und bei diesen Debatten stellen die Kosmologen immer häufiger die Frage, ob man die kosmologische Konstante wiederbeleben muß.

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Einsteins Weltformel

1917 entwickelte Einstein diese Formel, um die zeitliche Entwicklung des Universums zu beschreiben. R bedeutet darin den Radius der sichtbaren Welt (heute: R = 1). k ist im Prinzip nur ein Vorzeichen, es kann die drei Werte Minus, Null und Plus haben: k = -1 bedeutet einen hyperbolisch gekrümmten, unendlichen Raum mit „Sattel-Geometrie“, k = 0 ist der unendliche Raum mit euklidischer, „flacher“ Geometrie, mit k = +1 ist der Raum ähnlich wie die Oberfläche einer Kugel geschlossen. G ist die universelle Gravitationskonstante, r die mittlere Materiedichte und H die Hubble-Konstante. Das letzte Glied, L/3, tauchte zunächst nur aus mathematisch formalen Gründen bei der Integration auf. Einstein sah in dem L (Lambda) eine Kraft, die der Gravitation entgegenwirkt und damit das Universum im Gleichgewicht hält.
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Wenn es nun die kosmologische Konstante doch gibt und sie größer ist, als Einstein damals annahm, so würde sie nicht zu einem statischen Universum führen. Sie würde dann eine Art Anti-Gravitation beschreiben, die im Verlaufe der Expansion einen Zweikampf mit der Schwerkraft austrug.
Die von Einstein zunächst als rein mathematisches Konstrukt eingeführte Konstante wird heute mit einer physikalischen Größe identifiziert, der sogenannten Vakuumenergie. Auf Grund einer quantenmechanischen Grundregel, der Heisenbergschen Unschärferelation, können im Vakuum ständig „virtuelle“ Teilchen entstehen: Sie sind plötzlich aus dem Nichts da und ebenso plötzlich wieder verschwunden. Dieser brodelnde Partikelsee im Mikrokosmos stellt nun ein Energiefeld dar, das die Expansion des Raumes beschleunigt. Daß die sogenannte Vakuumenergie nicht nur ein Hirngespinst der Theoretiker ist, konnten Physiker schon 1957 nachweisen, als sie den Druck maßen, den die Vakuumenergie auf zwei eng benachbarte Platten ausübt. Allerdings läßt sich aus Experimenten dieser Art grundsätzlich nicht die Stärke des Vakuumfeldes – sprich der kosmologischen Konstante – ermitteln.
Die Elementarteilchenphysiker sind aber in der Lage, den Wert der Konstante unter bestimmten Annahmen theoretisch abzuschätzen. Sie fanden die irrwitzige Größe von etwa 10 hoch 100. Lägen sie damit richtig, so gäbe es unsere Welt in der heutigen Form gar nicht. Die kosmologische Konstante hätte zu einer explosionsartigen Ausdehnung des Universums geführt, in der sich vermutlich nicht einmal Atome hätten bilden können. Die Astronomen dagegen entnehmen aus ihren Beobachtungen, daß die Konstante nicht größer als 0,7 sein kann.

Man mag den Astronomen hin und wieder vorwerfen, daß ihre Messungen im Vergleich zu denen der „irdischen“ Physiker wesentlich ungenauer sind, aber die Diskrepanz zwischen 10 hoch 100 und 0,7 läßt sich damit beim besten Willen nicht erklären. Die Vakuumenergie birgt somit eines der tiefsten Rätsel der heutigen Teilchenphysik. Die Frage, ob es sie überhaupt gibt oder nicht, hat ausschlaggebende Bedeutung für zukünftige Theorien, mit denen man die Naturkräfte in einheitlicher Weise beschreiben will. Gleichzeitig hat Lambda weitreichende Folgen für die Kosmologie. Würde Einstein noch leben, hätte er sicher seine Freude daran, wie sich an der größten „Eselei“ seines Lebens immer mehr Forscher die Zähne ausbeißen.

Thomas Bührke
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