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Universelles Muster menschlicher Mobilität entdeckt

Technik|Digitales

Universelles Muster menschlicher Mobilität entdeckt
Bewegungsdiagramm
Besuchshäufigkeit von Menschen an verschiedenen Orte in Boston. (Bild: Guangyu Du)

Wie oft und aus welcher Entfernung kommen Menschen zu bestimmten Stellen in Städten? Diese Frage haben Forscher anhand von Handy-Bewegungsdaten aus verschiedenen Ballungsräumen der Welt untersucht – und dabei eine universelle Regel bestätigt: Demnach besuchen Menschen nähergelegene Orte häufiger, während sie für besondere Orte zwar eine längere Anreise in Kauf nehmen, dafür aber seltener dorthin kommen. Dieser Zusammenhang lässt durch eine erstaunlich einfache mathematische Formel beschreiben. Sie könne nun dabei helfen, Bewegungsmuster zu modellieren, um beispielsweise die städtische Infrastruktur zu optimieren oder auch die Ausbreitung neuer Pandemien vorherzusagen.

Nach welchen Mustern sich Menschen bewegen, ist grundlegend für unsere Gesellschaften. Die menschliche Mobilität prägt den Aufbau von Städten, ermöglicht sozialen Austausch, sorgt für Verkehrsstaus und Umweltverschmutzung und beschleunigt die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die Anlässe, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, sind vielfältig: Wir fahren zur Arbeit oder zum Einkaufen, besuchen Freunde, machen Ausflüge in Parks und Museen oder fahren in den Urlaub. Wie und wie oft wir das tun, ist eine relevante Information für Stadtplaner, aber beispielsweise auch für Epidemiologen, die die Ausbreitung einer Pandemie vorhersagen und begrenzen wollen.

Handy-Bewegungsdaten von vier Kontinenten

Ein Team um Markus Schläpfer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge hat nun ein neues Modell entwickelt, anhand dessen sich Mobilitätsmuster von Menschen vorhersagen lassen. Dazu werteten sie anonymisierte Handy-Bewegungsdaten aus verschiedenen Ballungsräumen der Welt aus, darunter dem Großraum Boston in den USA, Lissabon in Europa, Singapur in Asien und Dakar in Afrika. Insgesamt flossen über acht Milliarden ortsbezogene Daten von mehr als vier Millionen Menschen in die Studie ein. „Was wir herausgefunden haben, ist, dass es eine sehr klare inverse Beziehung zwischen der Entfernung und der Häufigkeit der Besuche gibt“, sagt Schläpfers Kollege Paolo Santi. „Man geht nur selten an weit entfernte Orte und normalerweise neigt man dazu, Orte in der Nähe häufiger zu besuchen. Das verrät uns, wie wir unser Leben organisieren.“

Diese Ergebnisse entsprechen der intuitiven Vermutung, wurden aber in dieser Form zuvor noch nie anhand einer zuverlässigen Datenbasis nachgewiesen. „Wir kaufen vielleicht jeden Tag in einer Bäckerei ein, die nur ein paar hundert Meter entfernt ist, aber wir gehen nur einmal im Monat in die schicke Boutique, die kilometerweit von unserem Wohnort entfernt ist. Diese intuitive Vorstellung war nie empirisch getestet worden. Als wir das taten, fanden wir ein unglaublich regelmäßiges und robustes Gesetz – das wir das Besuchsgesetz genannt haben“, berichtet Co-Autor Carlo Ratti.

Beziehung von Entfernung und Besuchshäufigkeit

Mathematisch ausgedrückt besagt das Besuchsgesetz, dass sich die Anzahl der Besucher an einem beliebigen städtischen Ort mit dem umgekehrten Quadrat sowohl der Entfernung vom Wohnort als auch der Besuchshäufigkeit verändert. Menschen, die eine kürzere Entfernung zurücklegen mussten, kommen also häufiger als solche mit einem langen Anreiseweg. „Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem belebten Platz, sagen wir in Boston, und Sie sehen Menschen kommen und gehen. Das mag ziemlich zufällig und chaotisch aussehen, aber das Gesetz zeigt, dass diese Bewegungen überraschend strukturiert und vorhersehbar sind“, erklärt Schläpfer. „Im Grunde sagt es aus, wie viele dieser Menschen aus einem, zwei oder zehn Kilometern Entfernung kommen und wie viele einmal, zweimal oder zehnmal im Monat zu Besuch sind. Und das Beste daran ist, dass diese Regelmäßigkeit nicht nur in Boston gilt, sondern in allen Städten weltweit.“

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Das Besuchsgesetz ermöglicht somit, die Besucherströme zwischen Orten mit einer bisher nicht erreichten Genauigkeit vorherzusagen. Anhand dieser Vorhersagen können Stadtplaner beispielsweise den optimalen Platz für ein neues Einkaufszentrum finden, planen, an welchen Stellen attraktive Angebote wie Restaurants oder Parks eingerichtet werden sollten, oder auch den öffentlichen Nahverkehr optimieren. Auch für Epidemiologen kann das Modell hilfreich sein, um beispielsweise im Falle einer Pandemie vorauszusehen, wo eine besonders hohe Ansteckungsgefahr gegeben ist – und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Grundlage für verbesserte Modelle

Bisherige Modelle hatten sich zwar ebenfalls auf die zurückgelegten Distanzen fokussiert, aber die Besuchshäufigkeit außer Acht gelassen. Indem die Autoren auch diese einbezogen, haben sie „eine Schlüsselkomponente identifiziert, die in den bestehenden theoretischen Rahmen der menschlichen Mobilität fehlte“, so Laura Alessandretti und Sune Lehmann von der Technischen Universität Dänemark in einem Kommentar zur Studie, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde.

Alessandretti und Lehmann weisen allerdings darauf hin, dass auch das aktuelle Modell noch Schwächen aufweist: Zum einen erlaube es lediglich Vorhersagen für städtische Gebiete. Ob sich ähnliche Muster in ländlichen Regionen mit schwächerer Infrastruktur zeigen, bleibt eine offene Frage. Zudem seien Schläpfer und seine Kollegen für die Analyse davon ausgegangen, dass der Wohnort jeweils der Ausgangspunkt für alle Bewegungen ist. „Aber in der realen Welt führen geografische Überlegungen und die Notwendigkeit, die Reisezeit zu minimieren, dazu, dass Reisen in bestimmten wiederkehrenden Abfolgen stattfinden. Menschen besuchen Orte oft in einer bestimmten Reihenfolge, zum Beispiel von der Arbeit zum Supermarkt und ins Fitnessstudio und dann nach Hause“, heißt es im Kommentar. Zukünftige Modelle sollten daher auch solche komplexeren Bewegungsmuster berücksichtigen. Die aktuelle Studie ebnet aus Sicht von Alessandretti und Lehmann den Weg dafür.

Quelle: Markus Schläpfer (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03480-9

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