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Wie man Fotos vom Erdkern machen kann

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Wie man Fotos vom Erdkern machen kann
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Auf Curaçao (gelber Punkt) soll die erste Empfangsstation des EARTH-Projektes gebaut werden. Die Insel liegt etwa 60 Kilometer vor der Küste Venezuelas. Die beiden Kernkraftwerke (rote Punkte) auf Kuba und Puerto Rico sind stillgelegt. Das nächste betriebsbereite Kernkraftwerk in Florida ist etwa 1600 Kilometer entfernt. (Bildquelle: International Nuclear Safety Center, US Department of Energy)
Wissenschaftler planen den Bau eines “Antineutrino-Fotoapparates”, der Bilder aus dem Erdinnern liefern soll. Er wird aus zehn über die gesamte Erdkugel verteilten Empfangsstationen bestehen.

Wenn man etwas fotografieren möchte, braucht man Licht. Genauer: Man benötigt Licht, das entweder vom ausgewählten Objekt reflektiert wird oder das von ihm selbst ausgesandt wird und dann auf den Fotoapparat trifft. Fotos vom Erdinnern sind auf diese Weise natürlich nicht möglich. Denn die Erde ist nun mal nicht durchsichtig – jedenfalls nicht für Licht. Doch sie ist durchsichtig für Anti neutrinos. Das von niederländischen Wissenschaftlern initiierte EARTH-Projekt will Antineutrinos, die durch radioaktiven Zerfall im Erdinnern entstehen, mit zehn über die gesamte Erdoberfläche verteilten Empfangsstationen auffangen und daraus Bilder vom Innern der Erde machen.

Das EARTH-Projekt ist äußerst ehrgeizig. Denn erst im Jahr 2005 war es japanischen Forschern vom so genannten KamLAND-Projekt zum ersten Mal gelungen, Antineutrinos aus dem Erdinnern überhaupt aufzufangen. “Die japanischen Kollegen waren nur mit Mühe und Not dazu in der Lage, die aus dem Erdinnern kommenden Antineutrinos von denen zu unterscheiden, die aus Kernkraftwerken auf der Erde stammen”, erläutert der 66-jährige Physikprofessor Rob de Meijer, der bis zu seiner Pensionierung an den Universitäten Groningen und Eindhoven unterrichtete, wo er und seine Kollegen auch das EARTH-Projekt aus der Taufe hoben. Heute ist de Meijer der Direktor des EARTH-Projekts und lehrt an der südafrikanischen Universität des Westkaps in Belleville, einem Vorort von Kapstadt.

Die im KamLAND-Projekt verwendeten Antineutrino-Detektoren waren nicht richtungsempfindlich, das heißt, sie waren nicht dazu in der Lage, festzustellen, aus welcher Richtung die registrierten Antineutrinos sie erreicht haben. Das wäre, als ob man einen Fotofilm auf den Tisch legen würde, sich darüber beugt, ihn angrinst und darauf hofft, ein Bild seines Gesichtes auf dem Film zu finden. Tatsächlich wird das “Bild” aber schwarz sein, ein Beweis dafür, dass Licht auf den Film gefallen ist. Aber um sein Gesicht abzubilden, müsste man schon dafür sorgen, dass nur das Licht auf den Film trifft, das vom Gesicht reflektiert wurde.

Entsprechend muss das EARTH-Projekt sicherstellen, dass die Detektoren nur Antineutrinos aus dem Erdinnern registrieren, die von den Forschern inzwischen “Geoneutrinos” getauft wurden, um keinen Zweifel über ihre Herkunft zu lassen. Dabei reicht es nicht, nur die grobe Richtung zu kennen: Wenn man aus den registrierten Geoneutrinos wirklich so etwas wie ein Bild rekonstruieren will, dann muss die Richtung möglichst genau bekannt sein. “Und wenn wir darüber hinaus auch noch ein dreidimensionales Bild erhalten wollen, dann müssen wir die Geoneutrinos aus verschiedenen Richtungen einfangen”, ergänzt de Meijer. “Deshalb verteilen wir die zehn Empfangsstationen über den gesamten Erdball.” Des weiteren können die Detektoren die Energie der Antineutrinos messen. Das erlaubt es, zu unterscheiden, ob sie beispielsweise beim Zerfall von Uran oder Thorium ausgesandt wurden.

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Um ein klares Bild aus dem Erdinnern zu erhalten, sollte es außerdem keine störenden “Lichteinflüsse” in Gestalt anderer Antineutrino-Quellen – nämlich Kernkraftwerken – in der Nähe geben. “Mit einer genügend guten Richtungsempfindlichkeit unserer Detektoren könnten wir die Störeinflüsse herausfiltern”, erklärt de Meijer. Doch diese Detektoren werden derzeit erst vom EARTH-Team entwickelt. “Da wir noch nicht wissen, wie gut sie sein werden, haben wir entschieden, mit unseren Empfangsstationen einen Mindestabstand von 1.000 Kilometern zum nächsten Kernkraftwerk einzuhalten. In Europa und in den USA ist solch ein Standort nicht leicht zu finden, aber in der Karibik, auf Hawaii, in Australien, Neuseeland, Südamerika und Südafrika sollte es nicht so schwierig sein.”

Die Wahl der Forscher für den ersten der zehn Standorte fiel auf die Karibik, genauer auf die Insel Curaçao, die 60 Kilometer vor der Küste Venezuelas liegt. “Es gibt zwar Kernkraftwerke auf Puerto Rico und Kuba, aber die sind stillgelegt. Die nächsten betriebsbereiten Kernkraftwerke sind in Florida. Wir erwarten somit keine Störeinflüsse”, sagt de Meijer und fügt verschmitzt hinzu: “Es sei denn, ein atomgetriebenes U-Boot käme Curaçao zu nahe.” Ein weiteres Kriterium für die Wahl von Curaçao war, dass sich dort keine großen Granitformationen befinden. Denn diese enthalten in der Regel radioaktive Elemente wie Thorium-232 oder Uran-238, die ebenfalls Antineutrinos abstrahlen. Nicht zuletzt hat bei der Entscheidung für Curaçao die Tatsache eine Rolle gespielt, dass die Insel zu den Niederländischen Antillen und damit zum Hoheitsgebiet der Niederlande gehört.

Doch der Hauptschauplatz der Aktivitäten des EARTH-Teams liegt derzeit in Südafrika. Denn hier arbeiten Physiker der Universität Kapstadt und des Laboratoriums iThemba LABS an der Entwicklung der richtungssensitiven Antineutrino-Detektoren. De Meijer rechnet mit der Fertigstellung der ersten Prototypen in zwei Jahren. Die Detektoren sollen dann zuerst im Kernkraftwerk Koeberg, 25 Kilometer nördlich von Kapstadt getestet werden. Verläuft der Test positiv, dann könnten die Forscher in drei bis vier Jahren mit dem Bau der ersten Empfangsstation auf Curaçao beginnen. Wenn dort erfolgreich Geoneutrinos aus dem Erdinnern empfangen werden, dann wollen die Forscher in etwa 10 Jahren mit dem Bau der anderen Empfangsstationen beginnen.

Die Fragen, deren Beantwortung sich de Meijer vom EARTH-Projekt erhofft, sind vielfältig. Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass sich an der Grenze zwischen Erdkern und Erdmantel – etwa 2900 Kilometer unter der Erdoberfläche – hohe Konzentrationen der radioaktiven Elemente Uran und Thorium befinden. “Wenn das stimmt, dann stellt sich die Frage, ob diese radioaktiven Elemente gleichmäßig über die gesamte Kern-Mantel-Grenze hinweg verteilt sind oder ob sie auf kleine Gebiete konzentriert sind”, sagt de Meijer. Anhand der von diesen Elementen ausgesandten Antineutrinos könnte man ihre Verteilung ermitteln.

Wenn die radioaktiven Elemente auf ein kleines Gebiet konzentriert wären, könnten sie einen natürlichen Kernreaktor bilden, ähnlich dem, der vor 2 Milliarden Jahren in Oklo im westafrikanischen Staat Gabun zündete. “Das könnte das mysteriöse Vorkommen des Heliumisotopes He-3 im Erdinnern erklären”, sagt de Meijer. Dieses Heliumisotop kann nicht durch gewöhnlichen radioaktiven Zerfall produziert werden, sondern entsteht nur als Zerfallsprodukt von Tritium, das wiederum nur in Kernreaktoren mit einer bestimmten Mindestmasse und Mindestmenge an Uran erbrütet werden kann. Die einzige alternative Erklärung wäre, dass dieses Heliumisotop bereits bei der Entstehung der Erde vorhanden war und vorher im Innern eines später explodierten Sterns erbrütet wurde.

Gebiete mit hoher Konzentration an radioaktiven Elementen an der Kern-Mantel-Grenze würden wegen der großen Wärmeproduktion außerdem die Fließbewegungen des flüssigen Eisens im äußeren Erdkern beeinflussen und hätten damit Auswirkungen auf das Magnetfeld der Erde. Zusammenfassend bringt de Meijer es so auf den Punkt: “Die Vorstellungen, die wir heute vom Erdinnern haben, könnten sich mithilfe der Geoneutrinos drastisch verändern.”

Rob de Meijer (University of the Western Cape, Belleville, South Africa) et al.: “Towards Earth AntineutRino Tomography (EARTH)”, Vorveröffentlichung in arXiv.org (physics/0607049), wird erscheinen in Earth, Moon and Planets Axel Tillemans
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