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Zylinder gegen Zelle

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Zylinder gegen Zelle
Wasserstoff soll künftig als umweltfreundlicher Sprit dienen. Doch wie lässt er sich am effektivsten nutzen: in Verbrennungsmotoren oder in Brennstoffzellen? Experten sind bei beiden Varianten skeptisch.

Ein Wirrwarr von Kabeln, Leitungen, Reglern und Ventilen füllt den engen Raum im Erdgeschoss des Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) der BMW Group im Münchner Norden. Auf einem Prüfstand im Zentrum des aufwendigen Messinstrumentariums steht ein unspektakulärer Motor. Doch das Aggregat, das auf Herz und Nieren geprüft wird, besitzt ein exotisches Innenleben: Es wird mit Wasserstoff betrieben.

Autos mit derartigen Verbrennungsmotoren könnten in Zukunft in großer Zahl über die Straßen rollen, sind die Forscher bei BMW überzeugt. Sie sollen die heute gebräuchlichen Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor ersetzen, wenn die fossilen Treibstoffe immer knapper und teurer werden und die Energiewirtschaft auf Wasserstoff (H2) als Kraftstoff wechselt. Der Vorteil: Der Umwelt würden große Mengen an Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen erspart, verspricht Raymond Freyman, Geschäftsführer der BMW Group Forschung und Technik. Denn beim Verbrennen von H2 entsteht – neben geringen Mengen an Stickoxiden – nur Wasserdampf. Dazu kommen noch andere Pluspunkte, etwa eine hohe Energiedichte. Andererseits: „Bei der Leistungsdichte ist ein Verbrennungsmotor unschlagbar“, sagt Freyman.

Daher treiben die Forscher und Ingenieure des bayerischen Automobilunternehmens mit Vehemenz die Entwicklung von Wasserstoff-Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor voran. Rund 1000 Liter flüssiger Wasserstoff gluckern dazu täglich aus dem weltweit größten H2-Tank am FIZ in die Testaggregate auf den Prüfständen. BMW setzt voll darauf, dem H2 die Energie in einem herkömmlichen Verbrennungsmotor zu entlocken.

Den ersten Prototyp eines wasserstoffbetriebenen Pkw präsentierte der Münchner Autobauer 1999: In dem BMW 750hL steckten ein 12-Zylinder-Motor und 204 PS. Seither folgten weitere Modelle mit verbesserter Technologie unter der Motorhaube. Das Highlight: ein aerodynamisch aufgemotzter, 285 PS starker Wagen mit Wasserstoff-Motor, der 2004 auf den Parcours des BMW-Testzentrums im französischen Miramas einen Geschwindigkeitsrekord für Wasserstoff-Fahrzeuge aufstellte. Mit über 300 Kilometern pro Stunde drehte der H2R seine Runden – um so die Leistungsfähigkeit des Wasserstoff-Antriebs unter Beweis zu stellen und zu zeigen, wie weit dessen technologische Entwicklung bereits fortgeschritten ist.

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Einen neuen Coup haben die BMW-Entwickler jetzt gelandet. In diesen Wochen werden 100 Wasserstoff-Serienlimousinen aus der 7er-Reihe mit Wasserstoff-Motor an ausgewählte „Pioniere“ übergeben. Die Wagen namens Hydrogen 7, die – wie man bei BMW stolz betont – als erste Wasserstoff-Fahrzeuge eine normale Serienentwicklung und -produktion durchlaufen haben, besitzen einen bivalenten Antrieb: Ihr Aggregat kann Wasserstoff und auch Benzin verbrennen.

Busse mit Wasserstoff-Antrieb sind ebenfalls schon unterwegs: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) setzten zur Fußball-WM im Juni 2006 die ersten zwei wasserstoffbetriebenen Stadtbusse von MAN ein. Bis Ende 2007 wollen die BVG 14 Busse mit Wasserstoff-Motor im Linienverkehr rollen lassen – damit werden die Berliner über die weltweit größte Flotte solcher Fahrzeuge verfügen.

Für Stefan Pischinger, Direktor am Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen der RWTH Aachen und Geschäftsführer der Aachener FEV Motorentechnik, steht außer Frage, dass sich Wasserstoff als Futter für einen Verbrennungsmotor hervorragend eignet. „Der Verbrennungsmotor ist ein Allesfresser, der sehr viele unterschiedliche Kraftstoffe verbrennen kann“, sagt er. „ Auch Wasserstoff ist für ihn kein Problem.“ Der Motor muss bloß an die speziellen Anforderungen dieses Treibstoffs angepasst werden. So lässt sich H2 dem Brennraum nur mit geringem Druck zuführen, weshalb er bereits in den Ansaugrohren der Zylinder mit der Verbrennungsluft vermischt wird. Wie in einem Benzinmotor sorgen auch in einem mit Wasserstoff betriebenen Motor Zündkerzen für die Zündung des Gemischs. Die leichte Zündfähigkeit von H2 ermöglicht es, den Motor „mager“ – und damit sparsam – zu betreiben. Sie macht allerdings auch einige technische Kniffe notwendig, um beispielsweise Fehlzündungen – und damit ein Klopfen des Motors – zu verhindern.

Bisher steht BMW bei der Entwicklung der Technologie für Wasserstoff-Verbrennungsmotoren ziemlich alleine da. Nur Mazda zieht am selben Strang. Das japanische Unternehmen verleast seit März 2006 ein paar Fahrzeuge einer 210 PS starken Wasserstoff-Variante des Sportwagens RX-8. Andere Autohersteller wollen dagegen den Weg in eine mögliche Wasserstoff-Zukunft mit einer anderen Antriebstechnologie beschreiten: der Brennstoffzelle.

Auch in der sogenannten PEM-Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser. Das geschieht aber nicht durch Verbrennen, sondern in einer elektrochemischen Reaktion. Die beiden Gase werden der Zelle an zwei mit einem Katalysator beschichteten Elektroden zugeführt und durch eine dünne Membran voneinander getrennt. Erst nachdem sie ihr Elektron abgegeben haben, können die Wasserstoff-Atome die Membran durchdringen und sich mit dem Sauerstoff verbinden. Diese Reaktion setzt elektrische Energie frei, mit der sich das Fahrzeug über Elektromotoren antreiben lässt.

Ein entscheidender Vorteil der Brennstoffzelle ist ihr hoher Wirkungsgrad: Über 50 Prozent der hineingesteckten Energie lassen sich damit in Antriebsleistung umsetzen. Das ist deutlich mehr als die energetische Ausbeute eines Ottomotors – und auch deutlich mehr als beim Wasserstoff-Verbrennungsmotor. Die Folge: Ein Brennstoffzellen-Auto benötigt vergleichsweise wenig Treibstoff. Ein weiterer Pluspunkt: Die Brennstoffzellen lassen sich nebenbei nutzen, um elektrische Energie für Beleuchtung, Motorsteuerung und das Radio im Fahrzeug zu generieren – und ersetzen so die Autobatterie. Das senkt den Kraftstoffverbrauch.

Mehrere Automobilhersteller feilen an der Entwicklung der Brennstoffzellen- Technologie für den Einsatz in Fahrzeugen: zum Beispiel Ford, Opel, Honda und DaimlerChrysler. Der Stuttgarter Konzern hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt hinsichtlich der Aussichten für Brennstoffzellen-Autos. Um 2006 würden die ersten Serienfahrzeuge mit dieser Art des Antriebs unterwegs sein, prophezeite man, als DaimlerChrysler 1994 das erste Versuchsfahrzeug vorstellte. Das war ein Transporter, der mit technischem Equipment für den Betrieb der Brennstoffzellen voll beladen war.

Seitdem hat sich viel getan. Den Entwicklern in Stuttgart und anderswo ist es gelungen, die für einen Brennstoffzellen-Antrieb nötige Ausrüstung erheblich kleiner zu machen: Im neuesten Demofahrzeug von DaimlerChrysler lässt sich die ganze Technik unauffällig verstauen. Dennoch haben sich die Perspektiven für die Brennstoffzelle verschlechtert. Beim Unternehmen mit dem Stern rechnet man nun zwischen 2012 und 2015 „mit dem Beginn der Marktreife“. Viele Experten erwarten die ersten serienreifen Brennstoffzellen-Autos nicht vor 2020. „Die große Euphorie ist verflogen“, sagt Michael Bargende, Lehrstuhlinhaber am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen der Universität Stuttgart und Vorstandsmitglied der Stiftung Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren. „Ich sehe mich außerstande einzuschätzen, ob die Brennstoffzelle in so großen Stückzahlen produziert werden kann, dass sie eine nennenswerte Substitution der heute bekannten Antriebe darstellt“, gab er im Februar der „Automobiltechnischen Zeitschrift“ zu Protokoll. Die Brennstoffzelle sei „nach heutigem Stand nicht der Antrieb der Zukunft“.

Probleme machen neben astronomisch hohen Kosten für die Herstellung etwa die begrenzte Reichweite, das hohe Gewicht, ein schlechtes Kaltstartverhalten und die Empfindlichkeit der Membran. Schwierig ist auch die Speicherung von H2, für die es heute zwei Möglichkeiten gibt: entweder – wie von BMW bevorzugt – als Flüssigkeit in einem Kryotank, der auf minus 253 Grad Celsius gekühlt wird, oder als komprimiertes Gas in Drucktanks bei 200 bis 300 Bar. „Flüssiger Wasserstoff dampft mit der Zeit ab und verflüchtigt sich, gasförmiger Wasserstoff hat nur eine geringe Energiedichte“, nennt Stefan Pischinger das Dilemma. Andere Speichermethoden, etwa in Kohlenstoff-Nanoröhrchen, stecken noch im Forschungsstadium.

„Auch die Kühlung der Brennstoffzellen ist eine Herausforderung“, sagt Pischinger. Sie ist nötig, da die Leistung der Zelle einbricht und diese Schaden nimmt, wenn sie sich auf über 80 Grad Celsius erhitzt. Allerdings könnte ein Brennstoffzellen-System für Abhilfe sorgen, das Forscher bei Volkswagen in Wolfsburg entwickelt haben. Eine hitzebeständige Membran und neuartige Elektroden sorgen dafür, dass die robusten Zellen dauerhaft und ohne Leistungsverlust Temperaturen bis 120 Grad Celsius überstehen. Das vereinfacht die Kühlung – und macht außerdem die Herstellung der Brennstoffzellen billiger. „Das wäre ein echter Durchbruch für die Brennstoffzellen-Technologie“, urteilt Pischinger.

Doch die entscheidende Frage bleibt offen: Woher soll all der Wasserstoff kommen? Heute werden weltweit pro Jahr rund 45 Millionen Tonnen H2 produziert – etwa als Prozessgas für die Elektronikindustrie – oder fallen als Nebenprodukt in Chemieanlagen an. 95 Prozent des H2 werden aber aus Erdgas oder Öl gewonnen – fossilen Energieträgern, bei deren Aufbereitung große Mengen CO2 entstehen. Für den Klimaschutz ist damit nichts gewonnen. Viele Wissenschaftler hoffen, Wasserstoff künftig aus Biomasse erzeugen oder durch Elektrolyse von Wasser mit Strom aus Wasser-, Sonnen- oder Windenergie gewinnen zu können. Doch das ist bislang sehr teuer. Außerdem halten Experten die Nutzung regenerativer Energiequellen zur Kraftstoffproduktion schlicht für unsinnig.

So betont Reinhart Kolke vom Umweltbundesamt, dass „die Verwendung von Wasserstoff im Verkehr wegen der hohen Energieverluste und Kosten der Produktion, der Aufbereitung und des Transports nicht zu befürworten“ sei. Viel sinnvoller wäre es, den Wasserstoff in Kraftwerken direkt zu verbrennen, als ihn als Kraftstoff in Automobiltanks plätschern zu lassen. Dazu macht das Umweltbundesamt eine Vergleichsrechnung auf: Während eine solar erzeugte Kilowattstunde Strom die Emission von rund 700 Gramm CO2 aus fossilen Kraftwerken ersetzen kann – bei Kohlekraftwerken sogar 1000 Gramm –, lassen sich durch den Ersatz von Benzin durch Wasserstoff allenfalls 200 Gramm Kohlendioxid vermeiden. „Für den Straßenverkehr löst Wasserstoff nach derzeitigem Stand keine Probleme. Er ist selbst ein Problem“, bringt es Stefan Pischinger auf den Punkt. „Sein Einsatz als Kraftstoff scheint noch weit entfernt.“

BMW-Forschungschef Freyman ist trotzdem optimistisch. Er arbeitet mit seinem Team weiter beharrlich an den Grundlagen für eine Wasserstoff-Zukunft. „Von dieser Vision rücken wir nicht ab“ , sagt er. Immerhin – ein Ziel haben die Münchner schon erreicht: Sie bauten einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor, der mit 100 Kilowatt pro Liter Hubraum eine ähnliche spezifische Leistung bringt wie ein Benzinmotor. Und bald wollen sie einen Meilenstein setzen: mit einem Auto, das nur ein Kilogramm Wasserstoff je 100 Kilometer verbraucht – das entspricht drei Litern Benzin.

Im Gegensatz zur Euphorie in München werden bei der Konkurrenz in Stuttgart, die auf Brennstoffzellen setzt, sehr zurückhaltende Töne angeschlagen. So orakelte Thomas Weber, Vorstandsmitglied für Forschung bei DaimlerChrysler, kürzlich in den VDI-Nachrichten: „Wasserstoff wird wohl selbst langfristig kaum über zehn Prozent Anteil an allen Energieträgern hinauskommen.“ ■

Ralf Butscher

Ohne Titel

Energiedichte verschiedener Kraftstoffe in Kilowattstunden pro Kilogramm

Wasserstoff 33,3

Rohöl 11,6

Benzin 12,0

Diesel 11,9

Methanol 5,5

Methan 13,9

Erdgas 10,6–13,1

Propan 12,9

Butan 12,7

Stadtgas 7,6

Ein dickes Plus des Wasserstoffs im Vergleich zu anderen Kraftstoffen ist seine unschlagbar hohe Energiedichte. Sie ist dreimal so groß wie bei Benzin.

Ohne Titel

· Motoren, die Wasserstoff verbrennen, zeichnen sich durch Leistungsfähigkeit aus, Brennstoffzellen bieten dagegen einen deutlich höheren Wirkungsgrad.

· Das Problem: Die Herstellung von H2 ist teuer, seine Speicherung schwierig.

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