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„Allerweltsarten“ auf dem Vormarsch

Wildpflanzen

„Allerweltsarten“ auf dem Vormarsch
Der Zuwachs bei den bereits weitverbreiteten Pflanzenarten bedroht die Pflanzenvielfalt in vielen Ökosystemen Europas. (Bild: Harald Pauli/ÖAW)

Brennessel, Löwenzahn und Co machen sich vielerorts breit: „Allerweltsarten“ verdrängen seltene Pflanzen in vielen verschiedenen Ökosystemen Europas, zeigt eine Studie. Die Entwicklung umfasst dabei Gebirgsregionen sowie Wälder und Wiesen des Tieflands und macht auch nicht vor geschützten Ökosystemen halt. Neben Folgen des Klimawandels könnten vermehrte Nährstoffeinträge über die Luft für den Trend verantwortlich sein, erklären die Wissenschaftler.

Oft steht die Tierwelt im Fokus – doch auch die Pflanzenvielfalt der Erde ist durch die verschiedenen vom Menschen verursachten Faktoren stark gefährdet: Schätzungen zufolge sind weltweit zwei von fünf Arten vom Aussterben bedroht. Regional gibt es dabei allerdings oft sehr spezielle Entwicklungen und Ursachen für die Veränderungen bei der pflanzlichen Artenvielfalt. Im Fokus der Biodiversitätsforscher um Ingmar Staude vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) standen nun die Entwicklungen in Europa. Sie haben erstmals Verschiebungen in der Artenzusammensetzung in drei sehr unterschiedlichen Lebensräumen untersucht: in alpinen Gipfelzonen, in der Krautschicht von Wäldern sowie in artenreichen Wiesen und Weiden im Tiefland.

80 Jahre Biodiversitäts-Entwicklung im Blick

Die Grundlage der Studie bildeten wiederholte Erhebungen des Artenbestands auf 141 Untersuchungsflächen in 19 europäischen Ländern – und zwar über einen großen Zeitraum hinweg: Die ältesten Datensätze reichen bis in die 1940er-Jahre zurück. Erfasst wurden dabei die zeitlichen Zu- und Abnahmen von insgesamt 1827 Pflanzenarten. „Die Feldarbeit der zahlreichen Vegetationsforscher ermöglichte einen einzigartigen Einblick in die Vergangenheit, um Veränderungen von Pflanzengemeinschaften in den letzten Jahrzehnten zu studieren“, würdigt Staude die Leistung der Beteiligten.

Wie er und seine Kollegen berichten, zeichnen sich in den Auswertungen deutliche Trends ab: In Wäldern, Wiesen und Weiden des Tieflands schwindet die Artenvielfalt durch eine Zunahme der Bestände von bereits weit verbreiteten Spezies zulasten von Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten. Die „Allerweltsarten“ kennzeichnet dabei eine Vorliebe für nährstoffreiche Lebensräume, während die Spezialisten meist an nährstoffarme Böden angepasst sind. In den alpinen Gipfelzonen zeichnet sich hingegen noch eine Zunahme der Artenanzahl ab, berichten die Forscher. Wie sie erklären, ist dies auf das Vordringen der weiter verbreiteten Arten aus den tieferen Lagen nach oben zurückzuführen, wo sie sich bisher den heimischen Arten hinzugesellen. „Langfristig ist jedoch auch hier eine Verdrängung zu erwarten“, sagt Staude.

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Auch naturnahe Regionen betroffen

Aus den Analysen ging zudem hervor, dass der Trend nicht etwa nur die stark vom Menschen geprägten Flächen betrifft: „Wir beobachten, dass sich diese Dynamik auch in naturnahen Lebensräumen entfaltet, also an Orten, von denen wir erwarten würden, dass sie sichere Zufluchtsorte für spezialisierte Arten und solche mit hohem Erhaltungswert sind. Das deutet darauf hin, dass das Anthropozän nicht vor den Türen der wenigen verbliebenen Wildnisgebiete Halt macht, die wir als geschützt betrachten“, sagt Staude. Sein Kollege Henrique Pereira vom iDiv ergänzt dazu: „Beunruhigend ist auch, dass der Artenwandel in markant unterschiedlichen Ökosystemen ganz ähnlich abläuft, weshalb wir davon ausgehen müssen, dass wir es mit einem sehr weit verbreiteten Phänomen zu tun haben“.

Den Wissenschaftlern zufolge sind wohl zwei Faktoren maßgeblich für den Trend verantwortlich: Die Folgen des Klimawandels sowie erhöhte Nährstoffmengen in den Böden, die auf Stickstoffeinträgen aus der Landwirtschaft zurückzuführen sein können – aber auch aus der Luft. Sie stammen dabei aus Verbrennungsprozessen in Verkehr und Industrie und werden durch Niederschläge überall verbreitet. „Aussagekräftige Indikatoren für hohe Stickstoffwerte sind dabei die Pflanzenarten selbst: Es gibt viele Arten, die Stickstoff verlässlich anzeigen, wie etwa die Brennnessel“, erklärt Co-Autor Harald Pauli vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Wie die Forscher erklären, können sich erhöhten Nährstoffmengen gleich zweifach ungünstig auswirken: Sie fördern das Wachstum der weitverbreiteten stickstoffliebenden Arten. Deren Wachstum führt dann außerdem zu erhöhter Beschattung, was zu einer Verdrängung der kleinwüchsigen, selteneren Spezialisten führt.

Mit dem Verlust der pflanzlichen Biodiversität sind komplexe Folgen verbunden, betonen die Wissenschaftler abschließend: „Jede Art, die verloren geht, ist ein unwiederbringlicher Verlust und hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Denn: Die verschiedenen Pflanzenarten stehen in Interaktionen mit Insekten, aber auch mit anderen Lebewesen, etwa mit Bodenorganismen“, gibt Pauli zu bedenken.

Quelle:
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Fachartikel: Ecology Letters, doi: 10.1111/ele.13937

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