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Antidepressiva machen Krebse leichtsinnig

Medikamente in der Umwelt

Antidepressiva machen Krebse leichtsinnig
Verhaltensänderungen bei Tieren können zu Dominoeffekten in aquatischen Ökosystemen führen. (Bild: University of Florida)

So stark verdünnt wirken sie doch nicht mehr, könnte man meinen – doch nun verdeutlicht eine Studie, dass auch die geringen Konzentrationen von Psychopharmaka in der Umwelt das Verhalten von Wassertieren verändern können: Flusskrebse werden durch den Einfluss von Antidepressiva risikofreudiger, was sie zu einer potenziell leichteren Beute für Fressfeinde macht, berichten Biologen.

Mit Medikamenten behandelt sich der Mensch nicht nur selbst: Durch die Ausscheidungen während der Therapie oder durch die unsachgemäße Entsorgung landen Rückstände der Substanzen im Abwasser und damit letztlich auch in der Umwelt. Wie Untersuchungen gezeigt haben, sind die Belastungen von Gewässern in vielen Regionen der Welt in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Aus Untersuchungen geht bereits hervor, dass sich einige Substanzen in kritischer Weise auf Lebewesen auswirken können. In der aktuellen Studie haben die Forscher um Alexander Reisinger von der University of Florida in Gainesville nun eine spezielle Gruppe von Wirkstoffen ins Visier genommen: die Antidepressiva, die in großen Mengen zur Behandlung von Gemütsstörungen eingesetzt werden.

Flusskrebse im Visier

„In vielen Gewässern werden Spuren dieser Substanzen gefunden“, sagt Reisinger. „Wir wollten nun herausfinden, inwieweit sich diese Mengen auf typische Bewohner von Binnengewässern auswirken können: Wir haben untersucht, wie Flusskrebse reagieren, wenn sie Antidepressiva in Mengen ausgesetzt werden, wie sie heutzutage in Bächen und Teichen vorkommen können“, sagt Reisinger. Ihre Untersuchungen führten die Forscher dabei an der in Nordamerika und auch Europa weitverbreiteten Flusskrebsart Faxonius limosus durch. Diese Allesfresser spielen eine wichtige Rolle in aquatischen Ökosystemen, erklären die Biologen.

Nachbildungen von Bächen dienten als Test-Lebensräume für die Krebse. (Bild: AJ Reisinger)

Für ihre Studie bauten sie im Labor künstliche Bachläufe, die dem natürlichen Lebensraum der Krebse weitgehend nahekamen. Einige der Versuchstiere wurden für zwei Wochen lang einer realistischen Menge des Antidepressivums Citalopram ausgesetzt. Dabei handelt es sich um ein weitverbreitetes Medikament aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, das die Menge eines wichtigen Neurotransmitters im Nervensystem erhöht. Als Kontrolle dienten bei den Versuchen Krebse, die in künstlichen Bächen mit sauberem Wasser lebten. Um zu testen, ob die Exposition mit dem Antidepressivum das Verhalten der Tiere veränderte, verwendeten die Forscher ein sogenanntes Y-Labyrinth. Dieses System besitzt einen kurzen Eingangsbereich, der sich in zwei Korridore verzweigt, wie der Buchstabe Y.

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Zu Beginn des Experiments setzten die Wissenschaftler jeden Flusskrebs in einen Behälter, der als Unterschlupf diente, und sich am Eingang des Labyrinths befand. Nach dem Öffnen dieser Schutzhütte erfassten die Forscher, wie lange es dauerte, bis die Krebse sich herauswagten. An der Gabelung des Y-Labyrinths hatten sie dann die Wahl zwischen einem Korridor, aus dem Nahrungsgeruch strömte, während der andere Geruchsstoffe aussendete, die die Anwesenheit eines anderen Flusskrebses signalisierten. Die Forscher zeichneten auf, welche Richtung die Krebse wählten und wie lange sie sich außerhalb des Schutzraumes aufhielten.

Potenziell leichtere Beute

Die Auswertungen ergaben: Verglichen mit der Kontrollgruppe kamen die Krebse, die Antidepressiva erhielten, früher aus dem Unterschlupf – sie waren also mutiger. An dem Weg zum Artgenossen waren sie dann vergleichsweise wenig interessiert – sie entschieden sich bevorzugt für die Nahrungssuche. Diese Verhaltensänderungen könnten durchaus kritische Folgen haben, betonen die Wissenschaftler: Die durch die Wirkung des Medikaments offenbar erhöhte Risikofreude könnte die Krebse zu leichteren Beutetieren für Fressfeinde machen, wodurch sich ihre Bestände verändern. Außerdem könnte eine verstärkte Nahrungssuche zu höheren Raten der Zersetzung von organischer Substanz führen, wodurch sich die Nährstoffflüsse in Gewässern verändern. „Beide Effekte könnten wiederum kaskadenartige Auswirkungen haben“, sagt Reisinger.

Senior-Autorin Emma Rosi vom Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook sagt dazu: „Toxizitätsbewertungen von Pharmazeutika konzentrieren sich oft auf tödliche Wirkungen, aber es bleibt meist unklar, inwieweit Medikamente Nicht-Zielorganismen beeinflussen können, ohne sie zu töten, indem sie Verhaltensänderungen bewirken, die wiederum ökologische Folgen haben können. Es ist mehr Arbeit nötig, um zu verstehen, wie sich die pharmazeutische Verschmutzung auf chronischer, subletaler Ebene auf das Leben in Gewässern auswirkt“, sagt Rosi.

Verbesserte Reinigungsverfahren von Abwässern könnten helfen, das Problem einzudämmen – doch auch jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, betonen die Forscher abschließend: „Menschen müssen natürlich weiterhin ihre Medikamente einnehmen. Aber eine Möglichkeit, wie sie verhindern können, dass Arzneimittelrückstände in unsere Gewässer gelangen, ist die ordnungsgemäße Entsorgung“, sagt Reisinger. Vor allem gilt dabei: Restmedikamente nicht in den Abfluss schütten.

Quelle: University of Florida, Cary Institute of Ecosystem Studies, Fachartikel: Ecosphere, doi: 10.1002/ecs2.3527

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