Auch im Gehirn erwachsener Säugetiere entstehen noch neue Nervenzellen. Bisher konnte aber nie bewiesen werden, dass sie sich auch zu voll funktionsfähigen Neuronen weiterentwickeln. Dieser Nachweis gelang jetzt amerikanischen Forschern mithilfe von Viren, die ein Gen optisch nachweisbar ausschließlich in solche Zellen einschleusen, die sich teilen. Über die Ergebnisse, die sie mit dieser neuen Markierungstechnik erzielten, berichten die Wissenschaftler des Salk Institute for Biological Studies in La Jolla im Fachblatt Nature (Bd. 415, S. 1030).
Die bisherigen Methoden, neu gebildete Nervenzellen sichtbar zu machen, erforderten es, die markierten Zellen zu fixieren, so dass die Funktion dieser dann abgetöteten Zellen nicht mehr überprüft werden konnte. Um neu entstandene Nervenzellen mikroskopisch nachzuweisen, ohne sie dabei abzutöten, setzte die Arbeitsgruppe von Fred Gage gentechnisch veränderte Retroviren ein. Das dazu verwendete Mäuseleukämievirus, das häufig auch für Gentherapieversuche benutzt wird, hat die Eigenschaft, sein genetisches Material nur in teilungsaktive Zellen einzuschleusen. Ruhende, ausdifferenzierte Zellen werden nicht infiziert. Die Wissenschaftler bauten in das Erbgut des Virus ein Gen ein, das die Produktion eines grün fluoreszierenden Proteins bewirkt. Das hat zur Folge, dass alle infizierten Zellen im Fluoreszenzmikroskop grün aufleuchten.
So präparierte Viren wurden in hoher Konzentration in einen Gehirnabschnitt, den Hippokampus, von Mäusen injiziert. Bei der Untersuchung von Hirnschnitten mithilfe immunologischer Methoden stellten die Forscher fest, dass nach zwei Tagen grün markierte Vorläufer-Nervenzellen und Gliazellen, aber noch keine reifen Neuronen entstanden waren. Diese ließen sich aber nach vier Wochen nachweisen. Funktionstests ergaben unter anderem, dass diese Neuronen fähig waren, elektrische Signale weiterzuleiten. „Wir haben auch nachgewiesen, dass neu erzeugte Neuronen erst nach vier Monaten die Größe und Form reifer Zellen annehmen“, schreiben die Wissenschaftler.
Der Hippokampus genannte Teil des Gehirns ist der Sitz des Lernens und Erinnerns. Die in dieser Hirnregion neu entstehenden Nervenzellen könnten die Aufgabe haben, abgestorbene Hirnzellen zu ersetzen. Vielleicht verbessern sie auch die Lernfähigkeit und das Gedächtnis, indem sie neue funktionelle Einheiten aufbauen, spekulieren die Wissenschaftler. Beide naheliegenden Annahmen müssten durch weitere Versuche bestätigt werden.
Joachim Czichos