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Auswildern aussichtslos

Erde|Umwelt

Auswildern aussichtslos

Noch vor zehn Jahren malte so mancher Zoologe und Tierschützer dem Tiger eine rosige Zukunft. In Zoos wollten Wissenschaftler die großen Katzen gezielt züchten – seit Anfang der Neunzigerjahre sogar in der Retorte – und später in ihren ursprünglichen Heimatländern auswildern (bild der wissenschaft 11/1996, „Der letzte Kampf der Tiger“). So sollte der seit Ende des 19. Jahrhunderts von etwa 100 000 auf 5000 bis 7200 Tiere geschrumpfte Bestand wieder hochgepäppelt werden.

Doch dieser Plan ist gescheitert – nicht mangels Masse, denn pro Jahr kommen in Gefangenschaft durchschnittlich 190 Jungtiere zur Welt. In den Zoos leben heute weltweit immerhin 1136 Tiger (1996: 1250). Indes: „Bis auf einzelne private Aktionen gab es schlicht keine Auswilderungsprogramme. Die hätten einfach keinen Sinn gehabt“, erläutert Peter Müller, bis 1997 Direktor des Leipziger Zoos. „Die Tigerzucht im Zoo ist kein Problem – aber dann weiß man nicht, wohin mit den Tieren.“

Der Grund: Geeigneter Lebensraum für die großen Raubkatzen ist in den letzten Jahren immer knapper geworden. Die Tigerländer sind allesamt Schwellenländer mit charakteristischen Problemen: starkes Bevölkerungswachstum in Indien, explodierende Industrialisierung in China, extensive Waldrodung in Sumatra – überall verkleinert der Mensch den Naturraum. „Brächte man gezüchtete Tiger in diese Gebiete, würden sie den Artgenossen dort die letzte Beute wegfressen“, warnt Müller.

Zudem entwickeln Tiger, die in Zoos aufwachsen, keine natürliche Scheu vor Menschen. Sie wären daher eine große Gefahr für die Bevölkerung. Tiger, die um menschliche Ansiedlungen schleichen, würden abgeschossen. Und selbst wenn die Katzen sich von Menschen fernhielten: Die Wilderei ist in den Tigerländern noch immer gang und gäbe – häufig, um Körperteile der Katzen als Grundstoffe für Arzneimittel der traditionellen chinesischen Medizin zu verkaufen. Ein Tiger bringt dem Wilderer umgerechnet zwischen 500 und 2500 Euro – genug, um seine Familie monatelang zu ernähren.

Viele Tierschützer und Zoologen geben den Überlebenskampf der Tiger noch nicht verloren – vor allem in Indien mit seinen rund 2000 Tieren. 1972 hatte sich Premierministerin Indira Gandhi persönlich des indischen Wappentiers angenommen und das Projekt Tiger gegründet. Bis heute wurden 28 Schutzgebiete mit zusammen 37 761 Quadratkilometern Fläche ausgewiesen – das entspricht etwa der Größe Baden-Württembergs. In diesen Nationalparks patrouillieren Wildhüter, um die Raubkatzen vor Wilderern zu schützen. Doch ihren Lebensraum müssen sich die Tiger mit mehr als 380 000 menschlichen Mitbewohnern teilen. Konflikte sind da unausweichlich. Rücksichtslose Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer haben den Zorn der Einwohner auf die Tierschützer geschürt.

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In den anderen Tigerländern – hauptsächlich Russland, Kambodscha und Sumatra – haben sich Schutzprogramme und Reservate weit zögerlicher entwickelt als in Indien. Auch dort kollidiert der Tierschutzgedanke mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen. „ Es ist wichtig, die Einheimischen in den Tigerländern über das Verhalten gegenüber Raubtieren aufzuklären“, sagt Roland Melisch, Artenschutzexperte im World Wildlife Fund. Die Tiger seien in einigen Regionen bereits so selten, dass der Anblick einer Großkatze sofort Panik auslöst. „Das läuft dann wie Anfang des Jahres hier bei uns in Deutschland, als sich der erste Bär seit 170 Jahren ins Land traute.“

Ex-Zoodirektor Peter Müller führt nicht nur seit Jahrzehnten das Zucht- und Stammbuch für Zootiger auf der ganzen Welt, er hat auch das Schicksal der frei lebenden Verwandten seiner Schützlinge im Auge. Seine Prognose lautet ebenso knapp wie vernichtend: „Der Tiger wird auf lange Sicht aussterben. Das lässt sich nicht aufhalten.“ Nadine Eckert ■

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