Ein großes Gehirn und wenig Nachwuchs: Diese beiden Merkmale sind typisch Säugetier. Sie unterscheiden diese Klasse von Lebewesen von allen anderen aus dem Tierreich. Doch wann im Laufe ihrer Evolution entwickelten die sogenannten Mammalia diese Eigenschaften? Die 184 Millionen Jahre alten Baby-Fossilien eines Säugetier-Vorläufers werfen nun ein neues Licht auf diese Frage – und grenzen das fragliche Zeitfenster weiter ein. Mit dem einzigartigen Fund fügt sich ein wichtiges Puzzlestück in unser Bild über die Entwicklungsgeschichte der Säugetiere ein.
Die Fortpflanzungsstrategie von Säugetieren unterscheidet sich deutlich von der aller anderer Gruppen aus dem Tierreich: Anstatt Eier zu legen, bringen sie lebenden Nachwuchs zur Welt und säugen ihn mit Muttermilch. Dadurch können sie vergleichsweise wenige Jungen auf einmal versorgen, um die sie sich dafür umso intensiver kümmern. Gleichzeitig mit dem Trend hin zu kleinen Würfen hat sich im Laufe der Evolution der Mammalia eine weitere Anpassung ergeben: Die frühe Schädelentwicklung veränderte sich, um bereits beim Nachwuchs ein größeres Gehirn unterbringen zu können. Doch an welchem Punkt in der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere setzten sich diese heute so charakteristischen Veränderungen durch? Weil es fast keine Fossilien von Säugetier-Jungen oder ihren evolutionären Vorläufern gibt, ist der genaue Zeitpunkt des Übergangs hin zu wenig Nachwuchs mit großen Gehirnen bis heute unklar.
Fortpflanzung wie ein Reptil
Ein spannender Fund wirft nun neues Licht auf diese Frage: Eva Hoffmann und Timothy Rowe von der University of Texas in Austin haben in Arizona die 184 Millionen Jahre alten Überreste eines säugetierähnlichen Pflanzenfressers und seines neugeborenen Nachwuchses entdeckt. Es sind die ersten fossilen Babys eines Säugetier-Vorläufers überhaupt, wie die Wissenschaftler berichten. Die gefundenen Fossilien gehören zu der ausgestorbenen Art Kayentatherium wellesi, die gemeinsam mit den Dinosauriern im Jura-Zeitalter lebte. Das Tier von der Größe eines Beagles war zwar kein echtes Säugetier. Als Angehöriger der sogenannten Tritylodontidae verfügte es jedoch bereits über viele, später für die Klasse der Mammalia typische Merkmale – zum Beispiel ein Fell. „Die Babys stammen von einem wirklich bedeutenden Punkt in der Evolutionsgeschichte“, sagt Hoffmann. „Sie hatten viele für moderne Säugetiere charakteristische Eigenschaften – Eigenschaften, die wichtig sind, um die Entwicklung dieser Tiergruppe besser verstehen zu können.“
Mithilfe moderner Computertomographie-Verfahren wiesen die Forscherin und ihr Kollege nach, dass sich in den versteinerten Relikten die winzigen Knochen von insgesamt 38 Jungen befanden – darunter vollständig erhaltene Schädel und andere Skelettteile. Damit ist der Wurf deutlich größer als bei Säugetieren üblich und in seinem Ausmaß eher mit dem eines Reptils vergleichbar. Zudem zeigte sich: Die Schädel des Nachwuchses waren zwar kleiner, proportional aber exakte Repliken des erwachsenen Schädels. Im Gegensatz dazu kommen die Jungen heutiger Säugetiere mit verkürzten Gesichtern und bauchigen Schädeln zur Welt, um ein größeres Gehirn beherbergen zu können, wie die Wissenschaftler berichten. Kayentatherium hatte demnach viel mit Säugetieren gemein – aber besaß weder ihr großes Gehirn, noch die für sie typische Zahl von Jungtieren.
Zeitfenster eingegrenzt
Diese Erkenntnis legt nahe: Der für die Evolution der Mammalia so wichtige Schritt, große Würfe gegen große Gehirne auszutauschen, hatte vor 184 Millionen Jahren noch nicht stattgefunden – er muss aber kurz darauf passiert sein. „Nur wenige Millionen Jahre später gab es nachweislich Säugetiere mit großen Gehirnen, die vergleichsweise wenige Jungtiere auf die Welt brachten“, sagt Rowe. Der Fund vervollständigt damit das Bild von der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere – und damit auch unserer eigenen, wie die Forscher betonen. „Indem wir auf unsere frühen Säugetier-Vorfahren schauen, können wir mehr über jene evolutionären Prozesse erfahren, die unsere Art schließlich zu dem gemacht haben, was sie ist“, schließt Rowe.
Quelle: Eva Hoffmann (University of Texas, Austin) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-018-0441-3